Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
Vom Netzwerk:
lassen.
    Der
Foundation -Zyklus
begeistert Science-Fiction-Fans seit einem halben Jahrhundert, aber unter Historikern ist Hari Seldon eine gern belächelte Witzfigur. Nur in Asimovs blühender Fantasie, so sagen sie, kann man aus dem, was schon geschehen ist, darauf schließen, was in der Zukunft passieren wird. Viele Historiker bestreiten überhaupt, dass sich in der Geschichte so etwas wie größere Muster abzeichnen, und auch diejenigen, die das nicht gänzlich in Abrede stellen, halten es im Allgemeinen für unmöglich, solche Muster aufzuspüren. Geoffrey Elton, der nicht nur an der altehrwürdigen Universität Cambridge einen Lehrstuhl für Gegenwartsgeschichte innehatte, sondern auch kein Blatt vor den Mund nahm, wenn es darum ging, in geschichtswissenschaftlichen Fragen Position zu beziehen, sprach sicher vielen aus der Seele, als er behauptete: »Die aufgezeichnete Geschichte umfasst nicht mehr als etwa 200 Generationen. Selbst wenn der Geschichte ein größerer Plan zugrunde liegt, muss gesagt werden, dass wir nicht erwarten können, ihn aus dem so kleinen Bruchteil der uns bekannten Geschichte zu erschließen.« 6
    Ich habe in diesem Buch zu zeigen versucht, dass sich Historiker unter Wert verkaufen. Wir müssen uns nicht auf die 200 Generationen beschränken, innerhalb derer die Menschen schriftliche Aufzeichnungen gemacht haben. Wenn wir unseren Blick erweitern und archäologische, genetische und linguistische Beweise – die Erkenntnisse also, um die es in den ersten Kapiteln ging – einbeziehen, bekommen wir viel mehr von der Geschichte zu sehen. So viel, dass wir sogar auf 500 Generationen zurückblicken können. Und eine so gewaltige Zeitspanne gibt uns durchaus die Möglichkeit, ein paar Muster zu erkennen.
    Und nun möchte ich mit Hari Seldon vorschlagen, dass wir, wenn wir schon einmal bei der Frage nach historischen Mustern sind, die Vergangenheit heranziehen, um einen Blick in die Zukunft zu werfen.

|558| Kapitel 12
…bis jetzt
    Auf dem Friedhof der Geschichte
    Am Ende von Kapitel 3 haben wir Ebenezer Scrooge zurückgelassen, der auf sein eigenes vernachlässigtes Grab starrt, sich an den Geist des Zukünftigen klammert und schreit: »Sind dies die Schatten der Dinge, die sein werden, oder nur deren, die sein können?« 1
    Das gleiche könnten wir uns fragen, wenn wir Abbildung 12.1 betrachten. Sie zeigt, dass der Osten – bei im 20. Jahrhundert gleicher Geschwindigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung in Ost und West – 2103 die Führung zurückerobern wird. Weil sich die Entwicklung seit dem 17. Jahrhundert jedoch beschleunigt hat, gibt Abbildung 12.1 nur eine sehr konservative Schätzung wieder. Zutreffender wäre wohl die Feststellung, dass 2103 der wahrscheinlich
späteste
Zeitpunkt sein wird, an dem die Führung des Westens endet.
    Die Städte des Ostens sind bereits so groß wie die im Westen, und beim gesamtwirtschaftlichen Ausstoß – der vielleicht am besten voraussagbaren Variablen – schwindet der Abstand zwischen China und den USA rapide. Die Strategen des National Intelligence Council (der Zentrale der US-Geheimdienste für strategische Prognosen) rechnen damit, dass Chinas Wirtschaftsleistung die der USA 2036 erreichen wird. Die Banker von Goldman Sachs sehen das 2027 kommen, die Berater von PricewaterhouseCoopers schon 2025, und einige Wirtschaftswissenschaftler wie Angus Maddison von der OECD oder der Nobelpreisträger Robert Fogel nennen noch frühere Daten (2020 bzw. 2016). 2 Bei den anderen Kennwerten – des Vermögens, Kriege zu führen, den Informationstechniken und der Energieausbeute pro Kopf – wird es noch ein bißchen länger dauern, doch ist davon auszugehen, dass alles in allem der Osten den Westen nach 2050 bald überholen wird.
    Alle diese Voraussagen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen. Sie stammen aus den Jahren 2006/07, vom Vorabend einer Finanzkrise also, die dieselben Banker, Berater und Wirtschaftswissenschaftler gerade nicht vorausgesehen haben. Auch sollten wir nicht vergessen, dass die Pointe zumindest für Dickens’ Weihnachtsgeschichte darin liegt, dass Schicksale nicht in Stein gemeißelt sind: »Doch wenn man die Bahnen verlässt, so ändert sich das Ziel.« Und tatsächlich ist der Scrooge, der am Weihnachtsmorgen aus dem Bett steigt, ein neuer Mensch: »Er wurde ein |559| so guter Freund wie Vorgesetzter und ein so guter Mensch wie irgendeiner in der guten alten Stadt oder irgendeiner anderen guten alten Stadt oder Gemeinde in der guten

Weitere Kostenlose Bücher