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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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Das eigentlich Beunruhigende ist nicht der Klimawandel selbst, sondern die Frage, ob nicht die Menschen mit ihren Reaktionen darauf die anderen Reiter der Apokalypse lange vor 2100 von der Leine lassen werden.
    Am wahrscheinlichsten könnte das mit dem Hunger geschehen. Die grüne Revolution, mit der die Nahrungsmittelproduktion schneller gesteigert wurde, als die Weltbevölkerung gewachsen ist, war vielleicht die größte Leistung des 20. Jahrhunderts. 2000 sah es sogar so aus, als könnten wir Bösartigkeit und |576| Dummheit von Diktatoren und Warlords eindämmen und damit auch den Hunger besiegen.
    Ein Jahrzehnt später ist das wieder unwahrscheinlicher geworden. Vielmehr macht sich, wieder einmal, das Paradox gesellschaftlicher Entwicklung bemerkbar. Mit steigendem Reichtum verfüttern die Bauern immer mehr billiges Getreide an Schlachttiere, damit wir mehr teures Fleisch essen können; außerdem nehmen die Agrarflächen zu, die der Produktion von Biosprit vorbehalten sind, damit wir Auto fahren können, ohne Erdöl zu verbrennen. Das Resultat: Die Preise der Grundnahrungsmittel haben sich zwischen 2006 und 2008 verdoppelt bis verdreifacht, in Afrika und Asien ist es zu Hungeraufständen gekommen. Das zeitliche Zusammentreffen der historisch größten Getreideernte (2,3 Milliarden Tonnen) und der Finanzkrise ließ die Preise 2009 zwar abstürzen, doch mit dem weiteren Anstieg der Weltbevölkerung (um 2050 vermutlichen auf neun Milliarden), so die Experten der UN Food and Agriculture Organization, werden sowohl Preisschwankungen als auch Nahrungsmittelknappheiten zunehmen.
    An der Ungerechtigkeit der geographischen Bedingungen wird sich auch im 21. Jahrhundert nichts ändern. Die Erderwärmung wird die Getreideernten in kalten und wohlhabenden Ländern wie Russland oder Kanada steigen lassen, den gegenteiligen Effekt wird sie in den Regionen haben, die der US-Sicherheitsrat als »Bogen der Instabilität« 23 zusammenfasst. Er erstreckt sich von Afrika bis nach Asien (siehe Abbildung 12.2). Es sind die ärmsten Völker der Welt, die in diesem Bogen leben, und sinkende Ernten könnten den dritten der apokalyptischen Reiter losstürmen lassen.
    Nach Schätzungen des US-Sicherheitsrates wird die Zahl der Menschen, die unter Nahrungs- oder Wassermangel leiden werden, zwischen 2008 und 2025 von 600 Millionen auf 1,4 Milliarden emporschnellen, wobei die meisten dieser Menschen im besagten Bogen leben. Um sich in Sachen apokalyptischer Prognosen nicht übertreffen zu lassen, sagt der britische
Stern Report
voraus, dass bis 2050 Hunger und Dürren 200 Millionen »Klimaflüchtlinge« in Bewegung setzen werden 24 – das wären weltweit fünfmal mehr Menschen als im Jahr 2008.
    Viele Bürger in den westlichen Kernländern sehen die Migration schon heute als Bedrohung an, obwohl Wanderbewegungen, seit der Steppenschnellweg vor drei Jahrhunderten unterbrochen wurde, die Entwicklung häufiger ankurbelten, als dass sie sie gefährdet hätten. 1* 2006 ergab eine Gallup-Umfrage, dass die Amerikaner die Einwanderung für das nach dem Irakkrieg zweitgrößte Problem des Landes halten. 25 Viele Amerikaner meinen, die Gefahr, dass Mexikaner Drogen schmuggeln und ihnen Jobs wegnehmen, überwiege alle Vorteile; viele Europäer empfinden die Gefahren durch vermeintliche islamische Parallelgesellschaften in ihren Ländern als ähnlich bedrohlich. In beiden Regionen behaupten nativistische Lobbyisten, dass die Neubürger schwer zu integrieren seien.

    [Bild vergrößern]
    Abbildung 12.2: Der große Durst

Der vom US-Sicherheitsrat so genannte »Bogen der Instabilität« (der sich von Afrika aus durch Asien zieht) im Vergleich zu den Regionen, in denen bis 2025 Wasserknappheit erwartet wird. Die dunkelgrau schattierten Gebiete werden »physische Knappheit« erleben, definiert als Gebiete, die über 75 Prozent des verfügbaren Wassers in Landwirtschaft, Industrie und Haushalten verbrauchen. Mittelgrau angelegte Gebiete bedeuten »annähernd physische Knappheit«; dort werden 60 Prozent des Wassers zu diesen Zwecken verbraucht. Hellgrau sind Gebiete, in denen »ökonomische Knappheit« erwartet wird, hier werden 25 Prozent des Wassers verbraucht. Reiche Länder wie die USA, Australien oder Kanada können Wasser aus feuchten Gebieten in trockene pumpen; arme Länder können das nicht.
    |578| Die Erderwärmung droht ab 2020 noch die finstersten Fantasien der Immigrationsgegner wahr zu machen. Einige zehn Millionen hungriger und verzweifelter

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