Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
große Spiel einzusteigen.
Chinas Hunger nach Rohstoffen (Soja, Eisen, Kupfer, Kobalt, Bauholz sowie Erdgas und Öl) lässt erwarten, dass es im Bogen der Instabilität in naher Zukunft permanent zu Konflikten mit westlichen Interessen kommen wird. Chinesische Diplomaten betonen den »friedlichen« Aufstieg ihres Landes (manche mildern dies ab zu »friedlicher Entwicklung« 28 ), seit den 1990er Jahren aber wird der Westen immer nervöser. 2004 etwa verursachte Chinas Nachfrage nach Eisen, was die Zeitungen bald zum »großen Eisenraub« 29 machten, Diebe in aller Welt, hieß es, sammelten Abflussgitter ein und schafften sie zum Einschmelzen in den Osten. Allein in Chicago sind angeblich in einem einzigen Monat 150 Gullydeckel verschwunden. Wo sollte das noch enden – heute die Deckel, morgen die ganze Welt? Einer Umfrage von 2005 zufolge hielten 54 Prozent der Amerikaner Chinas Aufstieg für »eine Bedrohung des Weltfriedens«. 30 In einer Umfrage von 2007 landete China bei der Frage nach der größten Bedrohung der weltweiten Stabilität auf dem zweiten Platz, direkt hinter dem Iran. 31
China erwiderte diese Komplimente mit dem größten Vergnügen. Als 1999 NATO-Jets Belgrad bombardierten, dabei auch die chinesische Botschaft trafen und drei Journalisten töteten, attackierten wütende Massen die US-Botschaft in |580| Beijing mit Steinen und warfen Brandsätze gegen das US-Konsulat in Chengdu. »Menschen empört über verbrecherischen Akt«, titelte
China Daily.
32 Noch 2004 sprach die Kommunistische Partei hochoffiziell von einer »strategischen Verschwörung feindlicher Kräfte, um China zu verwestlichen und seine Einheit zu untergraben«. 33
1914, als Europas Großmächte um die Reste des Osmanischen Reiches auf dem Balkan rangelten, reichte die Pistole eines serbischen Attentäters, um den Ersten Weltkrieg auszulösen. 2008 fand es eine amerikanische Untersuchungskommission »mehr als wahrscheinlich, dass Ende 2013 irgendwo in der Welt eine Massenvernichtungswaffe zu einem terroristischen Angriff eingesetzt wird«. 34 Heute, wo die Großmächte im Bogen der Instabilität um die Hinterlassenschaften der europäischen Imperien rangeln, mag man sich gar nicht ausmalen, welches Chaos ein Anschlag von Al-Qaida oder der Hisbollah mit solchen Waffen anrichten würde.
Die Konflikte im Bogen sind bei weitem bedrohlicher als die auf dem Balkan vor einem Jahrhundert, weil sie sich leicht nuklear entladen könnten. Israel hat sich seit etwa 1970 ein großes Waffenarsenal zugelegt, darunter auch (wenngleich jahrzehntelang nicht offiziell bestätigt) Atombomben. 1998 haben sowohl Indien als auch Pakistan Atombomben getestet. Seit 2005 werfen die EU und die USA dem Iran vor, das gleiche Ziel zu verfolgen. Das von vielen Beobachtern vermutete nukleare Potenzial des Iran wird möglicherweise ein halbes Dutzend muslimischer Staaten 2* zu eigenen nuklearen Abschreckungsmaßnahmen veranlassen. Allerdings wird Israel dabei nicht tatenlos zusehen. Israelische Kampfflugzeuge haben bereits Atomanlagen im Irak und in Syrien zerstört, neue Angriffe könnten erfolgen, wenn das Waffenprogramm des Iran fortschreitet.
Sollte es im Bogen der Instabilität zu einem Atomkrieg zwischen ihrem engsten Verbündeten und ihrem erbittertsten Feind kommen, könnte keine US-Regierung neutral bleiben. Auch Russland oder China dürften sich in einem solchen Fall nicht einfach still verhalten. Beide Staaten haben Irans nukleare Ambitionen kritisiert, allerdings auch zugelassen, dass sich der Iran um Mitgliedschaft in ihrer Shanghai Cooperation Organization 3* beworben hat. Diese lose Vereinigung hat sich vertrauensbildende und friedensfördernde Maßnahmen auf die Fahnen geschrieben, will aber vor allem den amerikanischen Interessen in Zentralasien entgegenwirken.
Ein »Großer Krieg« zwischen Osten und Westen wäre natürlich eine Katastrophe. Für China wäre er selbstmörderisch, denn die USA verfügen über das Zwanzigfache an nuklearen Gefechtsköpfen und gut und gern über das Hundertfache an konventionellen Gefechtsköpfen, denen China noch so gut wie keine Raketenabwehr |581| entgegenzusetzen hat. Ferner können die USA elf Flugzeugträgerkampfgruppen aufbieten – China keine einzige (allerdings hat die Volksrepublik 2009 den ersten Träger auf Kiel legen lassen). Vorerst also ist der waffentechnische Vorsprung der Amerikaner nicht einzuholen. Auch wenn die USA weder in der Lage sind noch ein Interesse daran haben, China zu besetzen,
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