Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
oder sie erwiesen sich als nicht genügend unabhängig gegenüber anderen Merkmalen. Die meisten Merkmale zeigen zudem für die längste Zeit der Geschichte ein hohes Maß an Redundanz; und es stellte sich heraus, dass alle plausiblen Merkmalkombinationen zuletzt doch zu mehr oder weniger gleichen Ergebnissen führen.
Es gibt eine Menge kleiner und zwei größere Ausnahmen zur Redundanz-Regel. Deren erste könnten wir »Nomaden-Anomalie« nennen – gemeint ist der Umstand, dass Steppengesellschaften in der Regel geringe Werte erzielen, was Energieausbeute, Organisation und Informationswesen anbelangt, dafür aber hohe Werte für Kriegführung. Diese Anomalie hilft zu erklären, warum nomadische Gesellschaften sehr wohl große Reiche besiegen konnten, aber kaum fähig waren, sie selber zu etablieren. 1* Das verlangt noch genauere Untersuchungen, aber diese Anomalie beeinträchtigt die Vergleiche zwischen den sesshaften Agrargesellschaften des östlichen und des westlichen Entwicklungskerns nicht direkt.
Eine weitere Version von Einwand 3 könnte sein, dass man Organisation, Kriegführung und Informationswesen aus der Analyse ausschließen und sich allein auf die Energieausbeute konzentrieren sollte, schließlich seien die drei erstgenannten Merkmale nichts anderes als bestimmte Formen der Energienutzung. Abbildung |596| A.1 zeigt, wie ein allein auf Energie zentrierter Index aussehen würde. Der Unterschied dieser Darstellung zu der Abbildung 3.3, in der alle Merkmale berücksichtigt sind, ist nicht wirklich beeindruckend. Im Grunde zeigt die nur auf Energie basierende Darstellung nichts anderes als die vollständige Darstellung der gesellschaftlichen Entwicklung auch – nämlich, dass der Westen für 90 Prozent der betrachteten Zeit einen Vorsprung gegenüber dem Osten hat; dass dieser dann für den Zeitraum zwischen etwa 550 und 1750 u. Z. vor dem Westen liegt; dass es einen oberen Grenzwert gibt (er liegt bei knapp über 30 000 Kilokalorien pro Kopf und Tag), der um 100 und um 1100 u. Z. die Entwicklung blockiert hat; dass die Werte für die Zeit nach der industriellen Revolution die aller früheren Epochen völlig in den Schatten stellen; und zuletzt, dass der Westen im Jahr 2000 die Welt noch regiert.
Die Konzentration allein auf Energie hat den Vorteil, dass der Ansatz weniger aufwändig ist als meine Annäherung an die gesellschaftliche Entwicklung über vier Merkmale; allerdings handelt man sich so auch einen Nachteil ein. Dann nämlich macht sich die zweite große Ausnahme von der Redundanz-Regel bemerkbar, der zufolge die Beziehung zwischen den Merkmalen sich nach der industriellen Revolution ins Nichtlineare entwickelt hat. Ermöglicht durch neue Techniken hat sich die Stadtgröße während des 20. Jahrhunderts vervierfacht, die Kapazitäten, Krieg zu führen, wuchsen um das Fünfzigfache, die Leistungsfähigkeit der Informationstechniken stieg auf das Achtzigfache; nur die Energieausbeute pro Person hat sich gerade mal verdoppelt. Betrachtet man ausschließlich die Energie, führt dies zu einer unzulässigen Vereinfachung, die den Verlauf der historischen Entwicklung verzerrt.
Ganz andere Fragen wirft Einwand 4 auf. Denn um zu beurteilen, ob ich die vorliegenden Daten falsch interpretiert oder ungeeignete Methoden angewendet habe, gibt es nur einen Weg: Man muss alle Informationsquellen, die ich verwendet habe, um die Punktwerte für die gesellschaftliche Entwicklung in Ost und West über die letzten 16 000 Jahre hinweg zu bestimmen, noch einmal überprüfen. Würde man das in diesem Anhang versuchen, würde das den Rahmen sprengen und ein bereits jetzt schon dickes Buch noch dicker machen. Darum habe ich die dazu notwendigen Informationen auf die bereits erwähnte Website gestellt. Dort können Leser, die Zeit und Interesse dafür aufbringen, nachlesen, welche Quellen ich verwendet habe und wie ich die jeweiligen Fehlermargen einschätze.
Entsprechend gibt dieser Anhang nur summarisch über die von mir verwendeten Daten Auskunft, skizziert knapp, wie ich die Indexpunkte errechnet habe, und nimmt auch nur kurz zu den Fehlermargen Stellung.
Energieausbeute
Ich behandle Energieausbeute deshalb als erste Größe und am ausführlichsten, weil sie das quantitativ wichtigste der vier von mir herangezogenen Merkmale |597| ist. Gehen wir weit genug in der Zeit zurück, gehen auch die Werte für Verstädterung, Kriegführung und Informationstechniken gegen null, denn die entsprechenden Aktivitäten
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