Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
Jahren das Römische Reich scheiterten, als ihre Entwicklung jeweils gegen eine undurchdringliche Decke stieß, liegt darin, dass wir sehr viel besser Bescheid wissen über die Probleme, um die es dabei geht. Anders als bei den Römern und Song-Chinesen könnte unsere Epoche tatsächlich das Denken entwickeln, das sie braucht.
Auf den letzten Seiten seines Buches
Kollaps
schreibt der Biologe und Geograph Jared Diamond, es gebe zwei Kräfte, die die Welt vor der Katastrophe retten könnten: die Archäologen und das Fernsehen. Erstere, weil sie die Fehler vergangener Gesellschaften detailliert aufdecken; letzteres, weil es diese Ergebnisse allgemein bekannt macht. 48 Als Archäologe, der ziemlich viel fernsieht, kann ich dem nur beipflichten. Doch einen dritten Retter möchte ich noch hinzufügen: die Geschichte. Nur Historiker können die große Erzählung gesellschaftlicher Entwicklung im Zusammenhang darstellen; nur sie können die Unterschiede erklären, die die Menschen voneinander trennen; nur sie können uns lehren, wie wir verhindern, dass diese Unterschiede uns zerstören.
Dieses Buch, so hoffe ich, hat ein wenig dazu beigetragen.
|594| Anhang
Zum Begriff gesellschaftlicher Entwicklung
Der Index gesellschaftlicher Entwicklung ist, indem er all die Fakten zusammenhält, die Archäologen und Historiker zusammengetragen haben, das Rückgrat dieses Buches. Der Index selbst erklärt nicht, warum der Westen die Welt regiert, zeigt uns aber Gestalt und Verlauf der Geschichte, die zu erklären ist. Alle, die sich für die Methoden und die einzelnen Zeugnisse und Fakten interessieren, die in meine Berechnungen Eingang fanden, finden eine ausführliche Darstellung des Index auf der Website www.ianmorris.org . Dieser Anhang dagegen ist gedacht als kurze Zusammenfassung der wesentlichen technischen Probleme und der grundlegenden Ergebnisse.
Vier Einwände
Soweit ich sehe, sprechen vier Einwände dagegen, einen Index gesellschaftlicher Entwicklung aufzustellen:
Das Quantifizieren und Vergleichen der gesellschaftlichen Entwicklung zu unterschiedlichen Epochen und an unterschiedlichen Orten entmenschlicht die Menschen, darum sollte es unterbleiben.
Das Quantifizieren und Vergleichen von Gesellschaften ist ein vernünftiges Vorgehen, doch so, wie ich gesellschaftliche Entwicklung definiere (nämlich als Fähigkeit einer Gesellschaft, ihre Angelegenheiten zu regeln), ist sie die falsche Messgröße.
Gesellschaftliche Entwicklung im Sinn meiner Definition mag ein nützliches Kriterium sein, den Osten und den Westen miteinander zu vergleichen, die vier Merkmale aber, die ich zur Bestimmung des Index nutze (Energieausbeute, Organisation/Urbanisierung, Kriegführung und Informationstechniken), sind nicht die bestmöglichen.
Die vier von mir vorgeschlagenen Merkmale eignen sich dazu, gesellschaftliche Entwicklung zu messen, aber ich habe sachliche Fehler gemacht und falsche Messmethoden angewandt.
Zu Einwand 1 habe ich im dritten Kapitel Stellung genommen. Selbst wenn es etliche historische und (kultur-)anthropologische Fragen gibt, zu denen das Quantifizieren |595| und Vergleichen gesellschaftlicher Entwicklung nichts beitragen, ist die Frage, warum der Westen die Welt regiert, eine der Sache nach quantitative Frage und läuft auf Vergleiche hinaus. Jedenfalls müssen wir, wenn wir sie beantworten wollen, quantifizieren und vergleichen.
Im dritten Kapitel habe ich auch ein paar Worte zu Einwand 2 verloren. Es ist durchaus möglich, dass es andere Zusammenhänge gibt, die wir messen und vergleichen können und die auch aussagekräftiger wären als gesellschaftliche Entwicklung, ich kann mir allerdings nicht vorstellen, welche das sein könnten. Darum möchte ich es anderen Historikern überlassen, andere Objekte vorzuschlagen, die sich mit Aussicht auf bessere Ergebnisse messen ließen.
Einwand 3 lässt sich in drei Varianten vorbringen:
Wir sollten meine vier um weitere Merkmale ergänzen.
Wir sollten nach ganz anderen Merkmalen suchen.
Wir sollten eine geringere Zahl von Merkmalen betrachten.
Während der Arbeit an diesem Buch habe ich mich mit einigen anderen Merkmalen beschäftigt, zum Beispiel mit den Flächengrößen der größten politischen Einheiten, mit dem Lebensstandard (gemessen in Körpergröße der Erwachsenen), mit Transportgeschwindigkeiten und Umschlagzeiten, mit den Dimensionen der größten Monumentalbauten. Bei allen stieß ich entweder auf beträchtliche Probleme, geeignetes Datenmaterial zu finden,
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