Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
erlebte, doch auch hier ist schwer zu sagen, wie tief dieser Einbruch war. Die Befunde, die ich in Kapitel 5 dargestellt habe, legen nahe, dass der Energieverbrauch in der Han-Zeit höher lag als in allen anderen Epochen des Ostens zuvor, doch immer noch niedriger als zur gleichen Zeit in Rom und in der späteren Song-Zeit. Ich schätze die um die Zeitenwende verbrauchte Energie auf 27 000 kcal pro Kopf und Tag, danach sank der Wert leicht und stieg bis 700 u. Z. wieder auf die gleiche Höhe.
Das 1. Jahrtausend v. u. Z. erlebte – wie auch im Westen – ein stetiges Wachstum der Energieausbeute, das sich zunächst ab etwa 500 v. u. Z. beschleunigte, dann, ab 300 v. u. Z., noch deutlicher: infolge des Ausbaus der Kanalnetze, verstärkten Handels und des Gebrauchs von Metallwerkzeugen. Davor, um 1000 v. u. Z., lag die durchschnittliche Energieausbeute vielleicht bei rund 17 000 kcal pro Kopf und Tag; zur Zeit des Ersten Kaisers der Qin wird sie eher bei 26 000 kcal pro Kopf und Tag gelegen haben.
In vorgeschichtlichen Zeiten hat die Energieausbeute im Osten in etwa die gleichen Schwellen überschritten wie die im Westen, begann aber später zu steigen und lag die ganze Zeit um ein bis zwei Jahrtausende zurück.
Gesellschaftliche Organisation
Während der gesamten vorindustriellen Geschichte war Organisation stets die zweitgrößte Komponente des Indexwerts gesellschaftlicher Entwicklung. Ich habe dieses Merkmal in Kapitel 3 zu meinem Hauptbeispiel gemacht und bei dieser |602| Gelegenheit erklärt, warum ich die Dimension der größten Städte stellvertretend für gesellschaftliche Organisation genommen habe. Die Datenlage und auch die Definitionen sind derart unklar beziehungsweise fließend, dass Experten uneins sind über die Städtegrößen in jeder Epoche; meine Entscheidungen habe ich auf der Website erläutert. In Tabelle A.2 fasse ich lediglich einige meiner wichtigsten Berechnungen zusammen.
Kriegführung
Seit Erfindung der Schrift haben die Menschen ihre Kriege aufgezeichnet, und selbst in der Vorgeschichte haben sie ihre Toten häufig zusammen mit deren Waffen beerdigt. Darum wissen wir erstaunlich viel über Kriege und Kriegführung in vormodernen Zeiten. Das Hauptproblem bei der Bewertung der Kapazitäten zur Kriegführung ist denn auch keines der Faktenlage, sondern eines der Konzeptualisierung: Wie soll man völlig unterschiedliche Waffensysteme miteinander vergleichen, bei deren Einführung es in der Regel doch auf unvergleichlich neue Zerstörungspotenziale ankommt? Das berühmteste Beispiel ist die britische Schlachtschiffsklasse der Dreadnoughts, die ab 1906 vom Stapel liefen. Deren übergroße Geschütze und die Panzerung waren so konzipiert, dass die Kampfkraft aller Kriegsschiffe der 1890er-Epoche derjenigen einer einzigen Dreadnought nicht würde standhalten können.
So einfach allerdings stellt sich die Wirklichkeit niemals dar. Unter passenden Bedingungen können improvisierte Sprengkörper die bestgerüstete Armee in die Bredouille bringen. Im Prinzip aber können wir höchst unterschiedlich ausgerüsteten und aufgestellten Militärorganisationen Punkte nach einer einzigen Skala zuordnen, selbst wenn Experten darüber streiten mögen, welche Punkte das sein sollen.
Die historisch unvergleichliche Militärmacht des Westens erhält für das Jahr 2000 u. Z. 250 Punkte; sie ist eindeutig größer als die des Ostens. Einige Armeen des Ostens umfassen Hunderttausende von Soldaten, sind daher groß, doch kommt es auf bloße Zahlen nicht so sehr an wie auf die verfügbaren Waffensysteme. Das Militärbudget der Vereinigten Staaten übertrifft das der Volksrepublik China im Verhältnis 10:1; bei den Flugzeugträgergruppen ist das Verhältnis 11:0; und 26:1 steht es bei der Zahl atomarer Gefechtsköpfe. Noch größer sind die qualitativen Unterschiede zwischen US-Kampfpanzern vom Typ M1 und US-Präzisionswaffen einerseits und den veralteten Waffensystemen Chinas andererseits. Doch das Verhältnis zwischen West und Ost so niedrig wie 10:1 anzusetzen, erschien mir ebenso abwegig wie ein hohes Verhältnis von 50:1, darum habe ich mich für 20:1 entschieden, sodass der Osten 12,5 Punkte für das Jahr 2000 erhält, gegenüber den 250 Punkten des Westens.
Noch kniffliger ist es, die Punktwerte für das Jahr 2000 mit solchen früherer Epochen zu vergleichen. Betrachtet man aber die Größe der Streitkräfte, die Geschwindigkeit ihrer Operationsbewegungen, die logistischen Kapazitäten,
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