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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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leichteren, profitableren und sichereren Methoden suchen, ihre Angelegenheiten zu regeln? Das wäre dann ein für allemal erledigt.
    Nicht nur die künftigen Biologen, sondern auch ihre Kollegen aus der Soziologie und der Geographie (sofern es diese akademischen Fächer dann noch gibt) dürften dann ziemlich irritiert aus der Wäsche schauen. Denn nach welchen Regeln eine robotergesteuerte Gesellschaft funktioniert, können wir heute nur raten; und natürlich wird die Singularität die alte politökonomische Geographie auslöschen. Die uralten Unterscheidungen zwischen Osten und Westen werden Robotern völlig gleichgültig sein.
    Wenn Historiker (deren künftiges Geschick ebenso ungewiss ist wie das der Vertreter anderer Disziplinen) im Jahr 2103 zurückblicken auf den Übergang von kohlenstoff- zu silikonbasierter Intelligenz, mag ihnen dieser Übergang als unabdingbar erscheinen – als so unabdingbar, wie es in meiner Perspektive die früheren Übergänge von der Wildbeuterei zum Ackerbau, vom Dorf- zum Stadtleben, von der Landwirtschaft zur Industrie gewesen sind. Als ebenso offenkundig mag sich möglicherweise im Nachhinein erweisen, dass die jeweiligen Traditionen, die sich seit Ende der Eiszeit in den ursprünglichen Entwicklungskernen sukzessive herausbildeten, zwangsläufig zu einer einzigen posthumanen Weltzivilisation verschmolzen sind. Darum könnte die Ängstlichkeit, mit der zu Anfang des 21. Jahrhunderts nach der Vorherrschaft des Westens und ihrer Dauer gefragt worden ist, ein wenig lächerlich anmuten.
    »Und sie kommen niemals zusammen …«
    Das Ganze ist nicht ohne eine gewisse Ironie. Ich habe dieses Buch begonnen mit einer kleinen »Was wäre wenn«-Geschichte über das Reich der Mitte, das den englischen Prinzgemahl 1848 als Geisel nach Beijing schleppt; habe dann elf Kapitel lang erklärt, warum das nicht hat geschehen können. Die Antwort auf die Leitfrage dieses Buchs, habe ich gesagt, sei die Geographie. Es waren Karten, nicht Kerle, die dafür gesorgt haben, dass der kleine Hund Looty nach Balmoral verfrachtet wurde und nicht Albert nach Beijing.
    In diesem letzten Kapitel habe ich behauptet, dass eine Erklärung der Vorherrschaft des Westens auch erkennen lässt, was demnächst geschehen wird. So sicher es die Geographie war, die vorschrieb, dass der Westen die Welt regierte, so sicher diktiert sie auch, dass der Osten die Vorteile der Rückständigkeit so lange ausnutzen |591| wird, bis er mit seiner gesellschaftlichen Entwicklung den Westen überholt. Doch jetzt ändern sich die Spielregeln. Stets hat die steigende gesellschaftliche Entwicklung die Bedeutung der geographischen Bedingungen verändert, im 21. Jahrhundert aber wird diese Entwicklung ein so hohes Niveau erreichen, dass die Geographie alle Bedeutung verliert. Das Einzige, was nun noch zählt, ist das Große Rennen zwischen Singularität und Weltendämmerung. Um die Gefahr letzterer zu bannen, werden wir unsere Angelegenheiten zunehmend globalisieren müssen, und darüber wird die Frage, welcher Teil der Welt die höchste gesellschaftliche Entwicklung aufweist, immer mehr an Bedeutung verlieren.
    Darin steckt eine neuerliche Ironie. Die Antwort auf die erste Frage dieses Buches – Warum regiert der Westen die Welt? – beantwortet zum großen Teil auch bereits die zweite Frage: Wie wird es weitergehen? Denkt man die Antwort auf die zweite Frage aber zu Ende, dann verliert die erste immer mehr an Bedeutung. Wer genau hinschaut, um herauszufinden, was nun geschehen wird, dem öffnet sich der Blick für das, was von jeher hätte selbstverständlich sein sollen: Die Geschichte, auf die es wirklich ankommt, ist nicht die des Westens, nicht die des Ostens, auch nicht die einer anderen Unterabteilung der Menschheit. Die bedeutsame Geschichte ist global, ist eine der Evolution. Sie erzählt uns, wie wir vom Leben als Einzeller zur Singularität gelangt sind.
    Ich habe durch das ganze Buch hindurch gezeigt, dass und warum weder Theorien langfristiger Determination noch solche kurzfristig wirksamer, zufälliger Ereignisse den Geschichtsverlauf besonders gut zu erklären vermögen. Doch auch hier möchte ich jetzt einen Schritt weitergehen. Auf
wirklich
lange Sicht, auf der Zeitleiste der Evolutionsgeschichte, kommt es auf die eine der beiden Theorien sowenig an wie auf die andere. Vor 15   000 Jahren, vor dem Ende der Eiszeit, bedeuteten Osten und Westen wenig. In einem Jahrhundert werden sie wiederum wenig bedeuten. Und die

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