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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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der Menschen sind dann von derart geringem Umfang, dass sie Werte generieren, die auf dem Index unter 0,01 Punkten liegen. Die Werte für die Energieausbeute dagegen gehen niemals gegen null, denn würden Menschen null Energie aufnehmen, würden sie sterben. Um Körper und Seele beisammen zu halten, brauchen Menschen grob geschätzt 2000 Kilokalorien pro Kopf und Tag. Insofern sich die Energieausbeute im Westen unserer Tage auf 228   000 kcal pro Kopf und Tag beläuft (= 250 Punkte), liegt der theoretisch niedrigste Punktwert bei 2,19. Real aber lag die Energieausbeute seit dem Ende der Eiszeit stets bei über 4 Punkten, weil die Menschen einen großen Teil der verbrauchten Energie nicht in Form von Nahrung aufnehmen oder nutzen, sondern in Gestalt von Kleidung, Schutzeinrichtungen, Artefakten, Brennstoffen etc. Bis zur industriellen Revolution liegt der Anteil der Energieausbeute am Gesamtpunktwert der gesellschaftlichen Entwicklung bei 75 bis 90 Prozent. Noch im Jahr 2000 macht die Energieausbeute im Westen 28, im Osten 20 Prozent des Gesamtpunktwerts aus.
    [Bild vergrößern]
    Abbildung A.1: Allein die Energie
    Energieausbeute. Osten und Westen im Vergleich bei ausschließlicher Betrachtung der Energieausbeute pro Kopf.
    Die Quellen zur Erfassung der Energieausbeute beinhalten moderne Sammlungen statistischer Daten, schriftliche Zeugnisse über Landwirtschaft, Industrie |598| und Lebensweisen sowie archäologische Funde zu Ernährung, Handwerk und Lebensqualität. So unterschiedliche Materialien miteinander in Einklang zu bringen ist eine ziemliche Herausforderung, doch konnte ich hier wie anderswo auf Beiträge früherer Forscher zurückgreifen. Wie in Kapitel 3 ausgeführt, bietet die Studie zu Energieflüssen, die Earl Cook 1971 veröffentlicht hat, einen Ausgangspunkt, der laufend an anderen Schätzungen überprüft werden kann. Sie alle nähern sich für den westlichen Entwicklungskern dem gleichen zeitgenössischen Wert von rund 230   000 kcal pro Kopf und Tag, den Cook in die groben Kategorien Futter/Nahrung (für Nutztiere und für Menschen), Haushalt/Gewerbe, Industrie/Landwirtschaft und Verkehr/Transport unterteilt.
    Vaclav Smil (1991, 1994) hat die nicht über Nahrungsmittel aufgenommene Energie aufgeschlüsselt nach Biomasse und fossilen Brennstoffen und deren jeweilige Entwicklung im Verlauf der Zeit für den westlichen Entwicklungskern graphisch dargestellt. Es sind mehrere Schritte erforderlich, um seine Daten in Punktwerte der Energieausbeute umzurechnen, doch die Ergebnisse – rund 93   000 kcal pro Kopf und Tag für 1900 und 38   000 für 1800 – liegen ihrer Größenordnung nach ziemlich dicht bei Cooks Schätzung von 77   000 für das industrialisierte Europa um 1860.
    Je weiter wir von 1800 aus zurückgehen, desto weniger regierungsamtliche Statistiken sind verfügbar; andererseits aber gilt, je abhängiger Wirtschaftssysteme von Brennstoffen aus Biomasse sind, desto eher können wir offizielle Dokumente durch vergleichend gewonnene Daten ersetzen, wie sie Wirtschaftshistoriker und Anthropologen zusammengestellt haben. Um 1700 muss eine Person im Westen durchschnittlich zwischen 30   000 und 35   000 kcal pro Tag verbraucht haben. Nach allem, was wir über die Aktivitäten westlicher Gesellschaften wissen, steht fest, dass diese Zahlen, je weiter wir im letzten Jahrtausend zurückgehen, desto niedriger werden 1* , wobei aus diesen Zahlen auch hervorgeht, dass der Energieverbrauch im Westen nie sehr weit unter den Wert von 30   000 kcal pro Kopf und Tag gefallen sein kann. Natürlich bleibt hier Raum für weitere Diskussionen, ich bezweifle aber, dass die Energieausbeute jemals unter 25   000 kcal pro Kopf und Tag gefallen ist, auch nicht im 8. Jahrhundert u. Z. Aus Gründen, auf die ich zurückkommen werde, glaube ich auch nicht, dass diese Schätzungen mehr als fünf bis zehn Prozent vom tatsächlichen Wert abweichen.
    Viele Funde und Fakten, die eindrucksvollen Ruinen von Häusern und Monumenten der Römerzeit, die Zahl der Schiffswracks, die Menge der produzierten Güter, der Grad der industriellen Verschmutzung der Eisbohrkerne und die ungeheure Zahl von Tierknochen in den archäologisch gesicherten Siedlungen – all das lässt erkennen, dass die Energieausbeute im Westen im 1. Jahrhundert u. Z. höher war als im 8., höher sogar als im 13. Jahrhundert. Doch um wie viel höher? Raffinierte Berechnungen von Wirtschaftshistorikern verweisen auf eine Antwort. Robert Allen (2007a)

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