Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
und 11.1 dargestellten Abläufen, um das Grundmuster zu ändern, das nach Erklärung verlangt. Die Theorien kurzfristig wirksamer, plötzlicher Ereignisse bleiben unangemessen, weil selbst in Abbildung A.2b der Punktwert des Westens während der längsten Zeit höher ist als der des Ostens (das gilt, obwohl »längste Zeit« hier nur 56 und nicht 92,5 Prozent bedeutet). Den Theorien langfristiger Determinierung ergeht es nicht besser: Selbst in Abbildung A.2a hat der Osten für sieben Jahrhunderte die Führung inne. Biologie und Soziologie bieten die plausibelsten Erklärungen für die (wenn auch unterbrochene) Aufwärtsbewegung der Entwicklung, Geographie wiederum liefert die weiterhin plausibelste Erklärung dafür, dass der Westen die Welt regiert.
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Abbildung A.2. Irrtum erkannt
Die Folgen systematisch falsch vergebener Punktwerte gesellschaftlicher Entwicklung: (a) alle westlichen Punktwerte sind um 10 Prozent erhöht, alle östlichen im gleichen Maß vermindert; (b) erhöht alle östlichen, vermindert alle westlichen Werte um die gleichen 10 Prozentpunkte.
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Abbildung A.3: Noch größere Fehlermargen
(a) erhöht alle westlichen, reduziert alle östlichen Punktwerte um jeweils 20 Prozent; (b) erhöht alle östlichen, vermindert alle westlichen Werte um jeweils 20 Prozent.
|615| Um die Grundmuster zu erschüttern, müssten meine Schätzungen um 20 Prozent daneben liegen. Abbildung A.3a zeigt, wie der Geschichtsverlauf aussehen würde, wenn ich die westlichen Punktwerte um 20 Prozent zu niedrig, die des Ostens um ebenfalls 20 Prozent zu hoch angesetzt hätte. Abbildung A.3b hält fest, was geschehen wäre, hätte ich die Entwicklung im Osten um 20 Prozent unterschätzt, die im Westen um 20 Prozent überschätzt.
Hier nun unterscheiden sich die Muster deutlich. Auf Abbildung A.3a liegen die Punktwerte des Westens durchgängig höher als die des Ostens, was den Theorien langfristiger Determination große Plausibilität verschaffen, zugleich meine Behauptung widerlegen würde, dass sich mit Veränderungen der gesellschaftlichen Entwicklung auch die Bedeutung der Geographie ändere. Abbildung A.3b dagegen kehrt die Schlussfolgerungen aus meinem Index um, denn nun führt der Osten während 90 Prozent der Zeitspanne seit Ende der Eiszeit.
Wenn entweder Abbildung A.3a oder A.3b richtig sein sollten, dann ist alles falsch, was Sie gerade in diesem Buch gelesen haben. Aber seien Sie versichert: Diese Abbildungen können nicht richtig sein. Abbildung A.3a will uns weismachen, dass die Entwicklung Roms um die Zeitenwende nur um fünf Indexpunkte hinter der des industrialisierten Japan um 1900 liege, was einfach nicht zutreffen kann. Nach Abbildung A.3b dagegen müsste die Entwicklung in Zeiten vor der Shang-Dynastie höher gewesen sein als die im Westen unter der Herrschaft des Persischen Reichs; auch hätte der Westen den Osten nur um 1828 eingeholt, am Vorabend des Opiumkrieges also; außerdem wäre die westliche Führung heute bereits beendet (nämlich seit 2003). Nichts davon ist plausibel.
Darum bekräftige ich meine Behauptung aus Kapitel 3, dass (a) die Fehlermarge meiner Schätzungen wahrscheinlich unter zehn Prozent, ganz sicher aber unter 20 Prozent liegt; und (b), dass selbst dann, wenn die Fehlermarge auf zehn Prozent steigen sollte, das historische Grundmuster, das ich erklären möchte, bestehen bleibt.
Schlussfolgerung
In Kapitel 3 habe ich mehrfach darauf hingewiesen, dass die Erstellung eines Index gesellschaftlicher Entwicklung etwas von Kettensägenkunst hat. Das Beste, was ein solcher Index liefern kann, ist eine rohe Annäherung, die die Annahmen desjenigen zu erkennen gibt, der diesen Index entwickelt hat. Der Hauptgrund dafür, so meine eingangs vorgebrachte These, dass es uns so lange nicht gelungen ist zu erklären, warum der Westen die Welt regiert, liegt darin, dass die Protagonisten dieses Streits ihre Begriffe auf unterschiedliche Weise definiert und sich auf diverse Teilaspekte des Problems fokussiert haben. Darum kann der einfache |616| Schritt, einen Index aufzustellen, die Debatte voranbringen. Kritiker dieses Buchs, die sich den ersten der zu Beginn dieses Anhangs genannten Einwände zu eigen machen – dass nämlich quantitative Vergleiche insofern inakzeptabel seien, als sie uns, die Akteure, entmenschlichen –, werden sich gezwungen sehen, entweder einen andern Weg zu finden, um die Vorherrschaft des Westens zu erklären; oder sie
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