Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
Siedlungen gehören große unterirdische Kammern, die wie gemeinschaftlich genutzte Schreine wirken. Im syrischen Jerf al-Ahmar, das nun wie viele andere Stätten unter den Wassern des Assad-Stausees vor sich hin schlummert, fanden französische Archäologen zehn Häuser, die eine Vielzahl von Räumen aufwiesen und um eine unterirdische Kammer gruppiert waren. Ein Menschenschädel lag auf einer Bank, in der Mitte des Raumes saß ein Skelett ohne Kopf. Ein beunruhigender Fund, der eigentlich nur mit Menschenopfern zu tun haben kann.
Die spektakulärste dieser Siedlungen ist Göbekli Tepe, das zusammengedrängt auf einem Berggipfel liegt und einen die Gegend beherrschenden Blick bietet, weit über den Südosten der Türkei. Seit 1995 haben deutsche und türkische Ausgräber dort vier versunkene Kammern freigelegt, bis zu drei Meter tief und mit einem Durchmesser bis zu neun Metern; die Stätte wird auf 9000 v. u. Z., wenn nicht sogar früher, datiert. Wie die kleineren älteren Kammern in Qermez Dere waren auch diese absichtlich verfüllt worden. In jeder befanden sich T-förmige Steinsäulen, manche über zwei Meter hoch und mit eingeritzten Tieren geschmückt. Geomagnetischen Messungen zufolge gibt es dort 15 weitere, bislang nicht ausgegrabene Kammern. Insgesamt gehören zu dieser Stätte wohl 200 Steinsäulen, viele sind über acht Tonnen schwer. Eine sechs Meter lange Säule, die unvollendet in einem Steinbruch entdeckt wurde, wog alleine 50 Tonnen.
Die Menschen, die das zustande brachten, hatten Feuersteinwerkzeuge, mehr nicht. Warum gerade dieser Berggipfel heilig war, werden wir wohl nie herausfinden, doch die Anlage wirkt wie ein regionales Heiligtum. Vielleicht war es ein Ort, an dem sich Hunderte von Menschen gleichzeitig und über Wochen zu bestimmten Feiern versammelten, die Säulen meißelten, diese in die Kammern zogen und dort aufstellten. Eines scheint jedoch gewiss zu sein: Nie zuvor in der Geschichte hatte eine so große Gruppe zusammengearbeitet.
|104| Menschen waren keine passiven Opfer des Klimawandels. Sie nutzten ihre Erfindungskraft, arbeiteten, um Götter und Ahnen im Kampf gegen die widrigen Umstände auf ihre Seite zu ziehen. Und selbst wenn heute viele von uns bezweifeln, dass Götter und Ahnen tatsächlich existieren, die Rituale könnten gleichwohl positive Folgen gehabt haben, nicht zuletzt als Mittel sozialer Bindung. Menschen, die ernsthaft daran glaubten, dass aufwändige Rituale in reich ausgestatteten Heiligtümern die Hilfe der Götter sichern könnten, werden zusammengehalten und nicht so leicht aufgegeben haben, so hart die Zeiten auch wurden.
Um 10 000 v. u. Z. hat der Fruchtbare Halbmond den Rest der Welt wohl weit übertroffen. Fast überall sonst zogen die Menschen noch immer zwischen Höhlen und Lagerplätzen hin und her, Plätzen wie dem, der seit 2004 in Longwangcan in China ausgegraben wird. Die einzigen Spuren, die dort von menschlichen Aktivitäten blieben, sind kleine Kreise gebrannter Erde, die von Lagerfeuern stammen. Ein zerschlagener Ölschiefer könnte ein einfacher Steinspaten gewesen sein, vielleicht ein Hinweis, dass die Kultivierung von Getreide begonnen hatte, doch nichts dort gleicht den ergiebigen Roggenkörnern von Abu Hureyra oder gar den Monumenten in Mureybet oder Qermez Dere. Das in beiden Amerikas einzig ernstzunehmende Bauwerk ist eine kleine Hütte aus gebogenen Baumschösslingen, über die Häute gespannt waren; gründliche Ausgräber haben sie im chilenischen Monte Verde entdeckt. In ganz Indien dagegen haben Archäologen nicht einmal eine solche Hütte finden können, die einzigen Zeugen menschlicher Aktivitäten hier sind verstreute Steinwerkzeuge.
Eine spezifisch westliche Welt nahm Gestalt an.
Das verwandelte Paradies
Um 9600 v. u. Z. erwärmte sich die Erde erneut, und diesmal wussten die Leute aus dem Fruchtbaren Halbmond bereits, wie man aus Graspflanzen das meiste herausholen kann. Rasch (zumindest nach Maßstäben der Vorzeit) nahmen sie deren Kultivierung wieder auf. Um 9300 v. u. Z. fielen die Saaten von Weizen und Gerste aus dem Jordan-Tal deutlich größer aus als die ihrer wilden Varianten, und die Menschen waren dabei, Feigenbäume zu veredeln, um deren Erträge zu verbessern. Im Jordan-Tal fanden sich auch die weltweit ältesten bekannten Kornspeicher, jeweils drei Meter breite und hohe Kammern, um 9000 v. u. Z. aus Lehm errichtet. Damals war in zumindest sieben Gebieten des Fruchtbaren Halbmonds die Kultivierung im
Weitere Kostenlose Bücher