Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
ihre Abfälle und Fäkalien auf Haufen zwischen den Häusern warfen. Gestank und Schmutz hätten Sammler und Jäger gewiss abgestoßen, Ratten, Fliegen und Flöhe dagegen werden wohl begeistert gewesen sein. Aus kleinen, in die Fußböden eingetretenen Exkrementspuren können wir sehen, dass die Bewohner der Siedlungen auch domestizierte Tiere in ihren Häusern hielten; Skelette aus der Grabungsstätte Ain Ghazal lassen erkennen, dass der Tuberkuloseerreger um 7000 v. u. Z. von Rindern auf Menschen übergesprungen ist. Die Sesshaftwerdung und die Erzeugung größerer Nahrungsmengen ließen die Fruchtbarkeit steigen, bedeuteten aber auch, dass mehr Münder zu stopfen und mehr Keime zu teilen waren, was wiederum die |108| Sterblichkeit steigen ließ. Jede neue Ackerbausiedlung wuchs zunächst einige Generationen lang sehr schnell, bis dann Fruchtbarkeit und Sterblichkeit einander ausglichen.
Doch allem Schmutz zum Trotz, es war eine Lebensweise, die den Menschen gefiel. Die kleinen Sammler-und-Jäger-Gruppen hatten einen weiten geographischen Horizont gehabt, dafür aber einen sehr engen sozialen: Die Landschaften wechselten, die Gesichter blieben dieselben. In der Welt der ersten Ackerbauern verhielt sich das genau umgekehrt. Möglicherweise verbrachten sie ihr ganzes Leben im Umkreis von einem Tagesmarsch rund um die Siedlung, in der sie geboren worden waren. Aber was für ein Ort war das! Es gab Heiligtümer, in denen die Götter sich offenbarten, Feste und Feiertage, die die Sinne erfreuten, schwatzhafte laute Nachbarn in festen Häusern mit gepflasterten Fußböden und regendichten Dächern. Diese Bauwerke erscheinen den meisten heutigen Menschen als qualvoll enge, verrauchte und stinkende Löcher, doch es war ein großer Schritt, wenn man nicht länger feuchte Höhlen mit Bären teilen oder sich bei Regen unter aufgespannten Tierhäuten zusammenkauern musste.
Die ersten Ackerbauern bändigen auch die Landschaft, schnitten konzentrische Kreise hinein. Deren Mittelpunkt, der engste Kreis, war das Haus, darum herum kamen die Nachbarn, dann die bestellten Felder, weiter draußen die Weideplätze, wo Hirten und Herden zwischen Sommer- und Winterweiden hin- und herzogen; und ganz draußen die Wildnis, die erschreckende, unkontrollierbare Welt furchterregender Tiere, wilder Jäger und aller nur denkbaren Ungeheuer. Bei einigen Grabungen wurden Steintafeln gefunden, auf die Linien geritzt waren, die, zumindest in den Augen von Optimisten, aussehen wie Landkarten mit Feldern, die von schmalen Pfaden unterteilt waren. Um 9000 v. u. Z. haben die Siedler von Jerf al-Ahmar und einiger benachbarter, heute allesamt im Assad-Stausee versunkener Stätten anscheinend mit einer Art Protoschrift experimentiert, indem sie Bilder von Schlangen, Vögeln, domestizierten Tieren und abstrakte Zeichen auf kleine Steinmarken geritzt haben.
Indem sie ihrer Welt solche mentalen Strukturen aufprägten, haben sich die Bewohner des Fruchtbaren Halbmondes, so könnte man sagen, selbst domestiziert. Sie erfanden sogar neu, was Liebe bedeutete. Die Liebe zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern ist etwas Natürliches, in uns hineingelegt seit Jahrmillionen, doch Ackerbau und ein entsprechendes Leben verliehen diesen Beziehungen neue Kräfte. Wildbeuter haben ihr Wissen stets mit den Jungen geteilt, haben sie gelehrt, reife Pflanzen zu finden, jagdbares Wild aufzuspüren und sichere Höhlen; Ackerbauern hatten viel Konkreteres weiterzugeben. Damit es ihnen gut erging, brauchten die Menschen nun Eigentum – ein Haus, Felder und Herden, gar nicht zu sprechen von Investitionen in Brunnen, Mauern und Werkzeuge. Die ersten Ackerbauern lebten anscheinend sehr gemeinschaftlich, teilten die Nahrung und kochten vielleicht auch gemeinsam. Doch um 8000 v. u. Z. begannen sie größere, komplexere Häuser zu bauen, jedes mit eigenen Vorratsräumen und Herd beziehungsweise |109| Küche; vielleicht teilten sie damals bereits auch das Land in Einzelbesitz auf. Das Leben konzentrierte sich zunehmend auf kleine Familiengruppen, vermutlich die Grundeinheit, in der Eigentum zwischen den Generationen weitergegeben wurde. Kinder waren auf dieses materielle Erbe angewiesen, ohne dieses drohte Armut. Die Übertragung von Eigentum wurde zu einer Frage von Leben und Tod.
Nach manchen Funden zu urteilen, bekam die Beschäftigung mit den Ahnen etwas geradezu Obsessives. Wir finden solche Hinweise sehr früh, vermutlich um 10 000 v. u. Z., nämlich in den kieferlosen
Weitere Kostenlose Bücher