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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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brachen, nicht mehr die gleichen wie die während der früheren Eiszeiten. Anders als Asimovs Lagashianer drehten die Erdlinge auch nicht durch, als die Natur ihre Welt durcheinanderbrachte. Vielmehr nutzten sie die einzigartige menschliche Fähigkeit ihrer Erfindungsgabe, und bauten auf dem auf, was sie bereits erreicht hatten. Das Jüngere Dryas hat die Uhr nicht zurückgedreht. Keine Epoche hat das getan.
    Einige Archäologen behaupten gar, das Jüngere Dryas habe, im Gegensatz zur Sonnenfinsternis in Asimovs Geschichte, die Neuerungen noch beschleunigt. Wie bei allen wissenschaftlichen Methoden muss man auch bei der Datierung der ersten kultivierten Roggenarten aus Abu Hureyra mit einer in der Sache liegenden Fehlerspanne rechnen, worauf die Ausgräber der Stätte selbst hinweisen. Die bereits erwähnten 11   000 Jahre v. u. Z. sind nur die Mitte eines Zeitraums, in dem die großen Roggenkörner auftauchen, und dieses Datum liegt vor Beginn des Jüngeren Dryas. Doch könnte der Zeitpunkt auch 500 Jahre später liegen und damit bereits in die Katastrophenzeit fallen. Vielleicht haben weder Trägheit noch Gier die Frauen von Abu Hureyra dazu gebracht, sich intensiver um den Roggen zu kümmern, vielleicht war es allein die Furcht. Als die Temperaturen fielen und die wild wachsenden Futterpflanzen weniger wurden, könnten die Frauen von Abu Hureyra experimentiert und herausgefunden haben, dass sich mit entsprechender Sorgfalt mehr und größere Samen erzielen ließen. Einerseits wird das kalte trockene Wetter den Anbau von Getreide erschwert, andererseits aber auch alle Anstrengungen |101| verstärkt haben, eben das zu tun. Einige Archäologen stellen sich vor, dass die Wildbeuter des Jüngeren Dryas Säcke voller Samen herumschleppten, die sie an aussichtsreich erscheinenden Stellen ausstreuten – als Versicherung gegen eine Natur, die sie immer mehr im Stich ließ.
    Weitere Grabungen werden zeigen, ob es sich tatsächlich so verhielt. Inzwischen wissen wir immerhin, dass nicht alle Populationen des Fruchtbaren Halbmonds auf die Klimakatastrophe reagierten, indem sie wieder auf Wanderschaft gingen. In Mureybet, flussaufwärts von Abu Hureyra gelegen, haben französische Ausgräber eine neue Siedlung gefunden, die um 10   000 v. u. Z. entstanden ist. Sie konnten nur 2,5 Quadratmeter der ältesten Schichten freilegen, dann überflutete der Assad-Stausee auch diese Stätte; doch schon anhand dieser Funde ließ sich zeigen, dass die Dorfleute genügend Wildpflanzen und Gazellen zusammenbrachten, um das ganze Jahr hindurch an Ort und Stelle bleiben zu können. In einem Haus, das die Archäologen zwischen 10   000 und 9500 v. u. Z. datieren, gelang ihnen ein überraschender Fund: In einer Tonschicht waren die Hörner eines wilden Auerochsen eingebettet, des grimmigen, 1,80 Meter hohen Vorfahren heutiger Stiere, dazu die Schulterblätter zweier weiterer Exemplare.
    Keine Fundstätte aus Zeiten vor dem Jüngeren Dryas hat derart Erstaunliches preisgegeben. In Grabungshorizonten, die jünger sind als 10   000 v. u. Z., häufen sich die Überraschungen. So zum Beispiel in Qermez Dere im Nordirak, das 1986 bei Planierarbeiten freigelegt wurde. Nur zwei kleine Notgrabungen konnten niedergebracht werden, eine davon traf auf ein Areal, das der Zubereitung von Wildnahrung gedient hatte, ganz ähnlich der, die aus Ain Mallaha oder Abu Hureyra bekannt ist. Der andere Graben dagegen erbrachte keine Hinweise auf häusliche Aktivitäten, offenbarte stattdessen aber eine Folge rundlicher Kammern mit einem Durchmesser zwischen 3,60 und 4,50 Metern, die etwa 1,50 Meter tief in die damalige Erdoberfläche eingelassen worden waren. Die erste Kammer war gepflastert, auf dem Boden standen vier Säulen in einer Reihe so dicht beieinander, dass man sich in diesem Raum nur schwer hätte bewegen können. Eine der Säulen war noch intakt: ein Steinkern, der mit Lehm und Gips so überformt war, dass er sich verjüngte und an der Spitze seltsame Ausbuchtungen zeigte – das Ganze wirkt wie ein stilisierter menschlicher Torso mit Schultern. Der Raum war, wohl absichtlich, mit einigen Tonnen Erde gefüllt worden, die Gruppen großer Tierknochen sowie Steinperlen und andere ungewöhnliche Objekte enthielt. Dann war ein neuer Raum gegraben worden, ganz so wie der erste und am fast gleichen Ort. Auch dieser wurde gepflastert und anschließend mit Tonnen von Erde gefüllt. Und noch ein dritter Raum wurde gegraben, gepflastert und verfüllt. Nachdem

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