Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden
sind. In den Stätten des Fruchtbaren Halbmonds aus der Zeit um 8000 dagegen weisen bereits fast die Hälfte der Fruchtstände feste Rhachis auf. Sie haben offensichtlich nur darauf gewartet, von Menschen geerntet zu werden, um sich reproduzieren zu können. Und um 7500 v. u. Z. sind es so gut wie alle.
Bequemlichkeit, Gier und Furcht sorgten immer wieder für Verbesserungen. Die Menschen entdeckten, dass es dem Boden gut tut, wenn sie das eine Jahr Getreide, das nächste proteinreiche Bohnen pflanzten, zudem sorgte das für Abwechslung auf dem Speiseplan. Mit diesem Verfahren domestizierten sie Linsen und Kichererbsen. Das Zerstoßen von Weizen und Hafer auf groben Mahlsteinen ließ Steingries ins Brot gelangen, was die Zähne der Menschen zu Stümpfen abschliff – also versuchten sie Verunreinigungen aus dem Mehl herauszusieben. Außerdem fanden sie heraus, dass sich Getreide auch auf andere Art zubereiten ließ. Sie mussten nur Ton zu wasserfesten Kochtöpfen brennen. Sofern es zulässig ist, Analogien zu heutigen Ackerbauern herzustellen, dann waren für die meisten dieser Neuerungen Frauen verantwortlich. Sie waren es auch, die Leinen zu Kleiderstoffen webten – Häute und Pelze hatten ausgedient.
Während Frauen Pflanzen kultivierten, kümmerten sich Männer (wahrscheinlich) um die Tiere. Um 8000 v. u. Z. gelang es Hirten im heutigen Westiran, ihre Ziegen so effektiv zu bewirtschaften, dass sich größere, ruhigere Rassen entwickelten. Noch vor 7000 v. u. Z. hatten Hirten den wilden Auerochsen in die sanften Rinder verwandelt, die wir heute kennen, und sie zähmten wilde Schweine. In den nächsten Jahrtausenden lernten sie, nicht alle Tiere noch als Jungtiere zu schlachten und zu verzehren, sondern sie aufwachsen, Milch und Wolle produzieren zu lassen – und, die nützlichste Neuerung, sie auch vor Radkarren zu spannen. 1* Zuvor hieß Transport stets, sich die Dinge selbst aufzupacken und sie zu tragen. Ein Rind im Geschirr aber entwickelt etwa die dreifache Zugkraft |107| eines Mannes. Um 4000 v. u. Z. konvergierte die Domestizierung von Pflanzen und Tieren in die Entwicklung eines von Rindern gezogenen Pfluges. Und die Menschen hörten nicht auf, zu basteln und zu experimentieren, doch sollten nun fast 6000 weitere Jahre vergehen, bis es ihnen gelang, darüber hinaus bedeutende neue Energiequellen zu erschließen, indem sie die Kraft aus Kohle und Dampf in den Dienst der industriellen Revolution nahmen.
Die ersten Ackerbauern im Fruchtbaren Halbmond veränderten die Lebensweise der Menschen. Diejenigen unter uns, denen es ein Graus ist, auf einer langen Flugreise neben einem plärrenden Baby zu sitzen, sollten ein wenig Mitgefühl für die Frauen der Wildbeuter aufbringen, die ihre Kleinkinder stets bei sich tragen und doch tausende Kilometer im Jahr zurücklegen, um Pflanzen, Früchte und Wurzeln zu sammeln. Es ist alles andere als überraschend, dass sie, ob bewusst oder unbewusst, nicht zu viele Kinder haben wollen und ihre Schwangerschaften regeln, indem sie ihre Kinder bis ins dritte oder vierte Lebensjahr stillen (die Milchproduktion verhindert die Eireifung). Die eiszeitlichen Wildbeuterinnen befolgten wahrscheinlich ähnliche Strategien, doch je sesshafter sie wurden, desto weniger Grund gab es, sich entsprechend zu verhalten. Vielmehr erwies sich eine höhere Zahl von Kindern als Segen, der zusätzliche Arbeitskraft bescherte, und so sprechen denn jüngere Skelettstudien dafür, dass die Frauen in den frühen Ackerbausiedlungen, die bei entsprechender Vorratshaltung an einem Ort bleiben konnten, im Durchschnitt sieben oder acht Kinder zur Welt brachten (von denen wahrscheinlich vier das erste Lebensjahr überstanden und drei ein fortpflanzungsfähiges Alter erreicht haben); die zuvor umherziehenden Frauen hatten dagegen nur fünf oder sechs Lebendgeburten. Je mehr Nahrungsmittel die Menschen anbauten, desto mehr Nachkommen konnten sie ernähren. Allerdings gilt umgekehrt ebenso, dass sie umso mehr Nahrungsmittel erzeugen mussten, je mehr Babys zur Welt kamen.
Die Bevölkerung explodierte. Um 8000 v. u. Z. hatten einige Siedlungen vermutlich bis zu 500 Einwohner, waren damit zehnmal größer als Weiler wie Ain Mallaha aus der Zeit vor dem Jüngeren Dryas. Um 6500 v. u. Z. lebten in Çatalhöyük in der heutigen Türkei etwa 3000 Menschen. In diesen Großsiedlungen stellten sich alle möglichen Probleme ein. Mikroskopische Untersuchungen von Sedimenten aus Çatalhöyük zeigen, dass die Menschen
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