Wer sagt, dass Kinder gluecklich machen
totenstill, kein Mucks, kein Pieps. Die Stille macht Sie fertig. Was treiben die beiden da drin? Auf dem Kinderbett Ihrer unschuldigen Tochter, unter dem Regal mit den vierundsiebzig Beanie Babies, von denen sich Ihre kleine Prinzessin immer noch nicht trennen kann? Erst gestern haben Sie ihr Hissy, die schwarz-grüne Schlange, aufs Kopfkissen gelegt.
Sie halten die Ungewissheit nicht aus. Sie pressen tatsächlich Ihr Ohr an die Tür. Die Stille ist richtig unheimlich. Vielleicht spielen die beiden ja auch nur Mau-Mau. Vielleicht brauchen sie etwas? Einen Pfefferminztee? Ein paar belegte
Brote? Ob Sie nicht einfach mal … anklopfen
sollten? Mein Gott, mach dich jetzt nicht lächerlich, denken Sie, und gehen ins Wohnzimmer zurück. Du warst doch auch mal jung. Gerade deswegen sind Sie besorgt, WEIL Sie sich noch so gut erinnern können. An die Partys von früher, als das »Ochsenblut« aus dem Supermarkt in Strömen floss und es immer so gut nach Hasch roch … STOPP! Dieser Gedanke treibt Sie wieder vor die Kinderzimmertür. Diesmal schnüffeln Sie am Schlüsselloch. Entweichen ihm womöglich allzu vertraute Düfte? Das erste High, was haben Sie gekichert, so sehr, dass Sie auf der Tischtennisplatte im Hobbykeller von … wie hieß er noch? Das Wesen, mit dem Sie Ihren ersten Zungenkuss ausprobierten und das die Frechheit hatte, hinterher zu sagen: »Du nimmst zu viel Spucke dabei.« Das hat Sie jahrelang so verfolgt, dass Sie sich vorher immer die Zunge abwischten. Harald, genau, Harald mit den Schwitzehändchen …
Keiner kann Ihnen verbieten, sich ein paarmal laut vor der Kinderzimmertür zu räuspern. So ein langes Schweigen ist doch nicht normal! Ob dieser Pickelbubi wenigstens Kondome dabei hat? Vielleicht ist etwas passiert? Kollektiver Kreislaufkollaps wegen plötzlichen Hormonanstiegs? Obwohl – sind Sie seinerzeit ohnmächtig dabei geworden? Na also. Die beiden haben einfach Spaß. Bei dem Sie nicht erwünscht sind.
Eltern müssen draußen bleiben
Das sind nun die Früchte Ihrer repressionsfreien Erziehung. Locker vom Hocker, FKK-Urlaub in Griechenland, Aufklärung vor dem Kindergarten. Sex ist etwas ganz Natürliches, mein Kind. Ha! Als Sie fünfzehn waren, hätten Sie niemals Wand an Wand mit den Eltern herumgeknutscht! Im Keller, auf den Polstern der eingemotteten Hollywoodschaukel,
haben Sie früher … diskret, verklemmt, während Ihre Eltern ahnungslos vor dem Fernseher saßen. Gute, alte Zeit!
Und das ist erst der Anfang. Bald wird dieses verpickelte Bürschchen mit den Riesenfüßen, die hoffentlich keine Korrelation haben zu … STOPP! … Bald wird es bei Ihnen ÜBERNACHTEN. Dann werden Sie nicht mehr über den Flur Ihrer eigenen Wohnung gehen können, zumindest nicht in Ihrem alten T-Shirt und schon gar nicht nackt, denn es wird Ihnen begegnen, womöglich auch nackt. Die Jugend von heute kennt ja keine Scham mehr. Der Typ wird Ihre Toilette blockieren, Sie werden mit verbrezelten Beinen verzweifelt vor der Tür stehen und warten, bis Sie endlich dran sind. Wenn Sie Pech haben, wird er mit Ihrer Tochter ein lautes, verkichertes mitternächtliches Bad nehmen. Sie werden sich vor einem schaumigen, nackten Jungmännerkörper die Zähne putzen müssen, morgens werden Sie ihn immer noch vorfinden, wenn Sie Glück haben in Ihrem Bademantel, denn NOCH hängen seine Klamotten nicht im Schrank Ihrer Tochter. Er wird in Ihrer Küche sitzen, ganz selbstverständlich, der gesamte Kühlschrankinhalt auf dem Tisch, alles unausgewickelt in der Packung. »Sie sehen müde aus«, wird er freundlich sagen, und Sie werden sich vorstellen, wie sich sein junger Hals wohl unter Ihren Händen anfühlt, wenn Sie langsam, ganz langsam zudrücken … Der Gedanke tut irgendwie gut.
»Mami?« Im Flur klappt eine Haustür. Gott sei Dank. Er ist weg. Prinzessin setzt sich aufs Sofa. »Wie findest
du ihn?« Sie leuchtet. Sie haben nicht das Herz, ihr zu sagen, dass er mit seinen Clearasil-Tupfern im Gesicht aussieht, als hätte er weiße Windpocken. Okay, das klingt alles anstrengend. Noch anstrengender wird es jedoch, wenn wir nicht junge, nicht mittelalte, sondern alte Eltern sind. Wenn Pubertät auf Menopause stößt.
Die Furien
Vera, 50, saß mit ihrer dreizehnjährigen Tochter Charlie bei McDonald’s, als sie ihre erste Hitzewallung bekam. Eine Woge aus Glut und Schweiß überschwemmte sie, während Charlie ihren Big Mac hinlegte und sie voller Entsetzen anschaute. »Igitt, Mama, du siehst ja
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