Wer sagt, dass Kinder gluecklich machen
Kinderstimme wird tiefer, aber das war’s auch schon. Schwups, auf einmal sind sie erwachsen, haben einen guten Schulabschluss, finden sofort eine Ausbildungsstelle, heiraten genau den Partner, der perfekt in die Familie passt. Es gibt ja auch sechs Richtige im Lotto und Menschen über fünfzig, die ohne Diät ihre Konfirmandenfigur halten, nur leider gehören wir nicht dazu und wenn, dann haben Sie sich deshalb ganz bestimmt dieses Buch nicht gekauft.
Wir jedenfalls gehören zur großen Mehrheit der Eltern, die nachts nicht schlafen können, weil ihre sechzehnjährigen Teenies mal wieder den Zapfenstreich um zwei Uhr morgens ignorieren, die beim Kaufhausdiebstahl erwischt wurden, mit drei Zungenpiercings nach Hause kommen und für deren Zeugnisse das Wort »unterirdisch« neu definiert werden müsste. Wir sind die Eltern, die die Telefonnummer der Direktorin schon auf dem Display erkennen, die jeden Tag
mit einer anderen Katastrophe rechnen und sich nicht vorstellen können, dass es mal wieder eine Zeit geben wird, in der sie nicht wie auf glühenden Kohlen darauf warten, dass entweder die Polizei, wütende Nachbarn oder volltrunkene Schulfreunde an der Haustür klingeln.
Ja, es ist stressig und es gibt niemanden, der uns tröstet, der uns in den Arm nimmt, der zu uns sagt: »Das hast du nicht verdient, du hast einen guten Job gemacht, hast dich jahrelang aufgeopfert und die undankbare Kröte, die dir zu Hause das Leben zur Hölle macht, hat dich nicht verdient.« Im Gegenteil, jedes Fehlverhalten fällt sofort auf unsere mangelhafte Erziehung zurück, die entweder zu streng oder zu lasch ist. Die schieflief, weil wir geschieden, getrennt, unglücklich oder zu innig verheiratet sind. Weil unsere Kinder Einzelkinder, Älteste, Jüngste oder adoptiert sind. Einen Grund, uns Eltern das Leben noch schwerer zu machen, gibt es für die Außenwelt immer.
Deshalb am Anfang dieses Kapitels ein paar wissenschaftliche Fakten, die uns erklären, warum aus unserem pflegeleichten, lustigen Kind über Nacht ein übel gelauntes, schweigsames Monster wurde, das uns jeden Tag aufs Neue die Stimmung vermiest.
Das Gehirn eines Pubertierenden ist eine einzige Baustelle
Früher dachte man, das Gehirn eines Pubertierenden sei bereits ausgereift, sein Verhalten also ausschließlich hormonell bedingt. Irrtum! Es ist in den Jahren von zwölf bis zwanzig
eine einzige Baustelle, auf der ständig Gerüste auf- und wieder abgebaut werden. Besonders die Großhirnrinde, die für alles Kognitive zuständig ist, erlebt einen Wachstumsschub, Nervenzellen entstehen und verzweigen sich, die Wege, auf denen das Gehirn Informationen und Emotionen transportiert, werden neu justiert. Dieser
Umbau dauert in den Feldern, die für Sprache und räumliche Orientierung zuständig sind, am längsten. Die Zirbeldrüse, die das müde machende Hormon Melatonin produziert, vollzieht das in dieser Phase mit bis zu zwei Stunden Verspätung – wenn also nach Mitternacht noch Licht im Kinderzimmer brennt, sind die Hormone schuld.
Die letzten Umbauarbeiten des Gehirns finden im sogenannten Präfrontalhirn statt, dem Teil des Stirnlappens, der für Gefühle und Entscheidungen zuständig ist. Dass diese Konsequenzen haben beziehungsweise Gefühle bei den Eltern auslösen, das begreift der Pubi nicht. Er reagiert nur aus dem Bauch heraus. Fahren ohne Führerschein – Polizei kommt und nimmt den Lappen weg! Diese einfache Rechnung übersteigt das pubertierende Präfrontalhirn, da nützt alles elterliche Gezeter gar nichts. Außerdem ist der Nucleus accumbens, ein Zellhaufen, der hinter den Schläfen sitzt und bei der Steuerung des Strebens nach Belohnung beteiligt ist, noch nicht vollständig ausgereift. In GEO WISSEN wird das in dem Artikel Vorsicht: Umbauarbeiten! so formuliert: »Neurobiologisch gesehen, ähneln Heranwachsende einem voll besetzten Düsenjet, der mit vibrierenden Triebwerken über die Startbahn jagt, während oben im Cockpit noch hektisch an Kontrollinstrumenten und Navigationssystem geschraubt wird.« [Ref25]
Na wunderbar! Teeniestress – die Hormone sind schuld. Wir müssen also mit allem rechnen, wenn in unserem Kind die Hormone toben und sein Gehirn umgerüstet wird. Ja, das Spektrum des Pubertätshorrors ist ein unendlich weites und immer, wenn wir denken: So, das war’s jetzt, kommt garantiert ein Rückschlag.
Was hilft? Nur das Wissen, dass es anderen Eltern genauso geht? Vielleicht sogar noch schlimmer? Und deshalb haben wir
Weitere Kostenlose Bücher