Wer schlafende Hunde weckt
gerechnet, und zack, da war’s. War nicht zu übersehen. Blanker Hass, ein ganzes Leben voller Hass.«
»Warum? Weil sie Polizistin ist?«
»Persönlicher. Konkreter. Aber ich weiß nicht, weshalb, aber wie auch. Ich hab so vielen Menschen etwas angetan. Ich kann mich lange nicht an alle erinnern; hab damals schon nicht alle richtig wahrgenommen.«
Jasmine nahm ihren ganzen Mut zusammen, denn sie musste es wissen.
»Sie haben … Frauen etwas angetan?«
Er sah ihr in die Augen.
»Ja«, erwiderte er, ohne den Blick abzuwenden. »Nicht direkt. Aber angetan habe ich ihnen etwas. Frauen und Kindern. McLeod hat sich wahrscheinlich hinter ihrer weinenden Mutter versteckt, während ich ihren Vater bedroht habe. Einer der zahllosen Zeugen, von denen man nie weiß, weil sie es nie jemandem erzählen.«
Jasmine schluckte. Es war das schwierigste Gespräch ihres Lebens; sie stellte Fragen, die sie nicht stellen wollte, an einen Mann, der sie nicht beantworten wollte, doch sie beide wussten, dass dieser Kelch nicht an ihnen vorübergehen konnte.
»Und die anderen Sachen, die sie gesagt hat …«, fing Jasmine an, konnte die Sachen aber nicht benennen. Konnte ihn nicht fragen: »Haben Sie Menschen umgebracht?«
Und doch hatte sie ihn mit ihren ungeschickten, wenigen Worten gefragt.
»Es ist ein Märchen, dass die Verbrecher von früher Unschuldigen nichts getan haben«, erklärte er. »Wir wissen alle, dass das nicht stimmt. Aber neben all dem, was man als Kollateralschäden abtut, redet man sich gerne ein, dass man keine Zivilisten anrührt. Den Regeln nach darf man nur jemanden angreifen, der selbst mitspielt. Doch in Wahrheit ist irgendwann jeder Freiwild, der zwischen dir steht und dem, was du haben willst.«
Ingrams wandte sich ab und sah zum Fenster, doch in Wirklichkeit schaute er noch viel weiter, an einen Ort, den Jasmine nie sehen wollte.
Er schloss kurz die Augen, öffnete sie wieder und sah Jasmine wieder so verletzlich an, wie sie ihn im Auto auf der Rückfahrt von Bain gesehen hatte.
»Ich bin nicht böse, Jasmine. Gut aber auch nicht. McLeodhatte recht. Man kann einen Namen zurücklassen, aber man kann sich selbst nicht davonlaufen. Als ich wieder hergekommen bin, die Angst in Bains Gesicht gesehen habe und den Hass in dem der Polizistin … hab ich verstanden, dass ich mein altes Leben nicht von meinem neuen trennen kann. Ich muss meine Sünden benennen und ich muss den Namen tragen.«
»Sie sind also wieder Glen Fallan?«
»Ja.«
»Gut. Tron ist ein blöder Name.«
Gestohlene Blicke
Lauras Handy klingelte auf dem Rückweg zum Wagen, den sie direkt vor dem Haupteingang des Bay Tree geparkt hatten. Das Bay Tree befand sich an einer Einmündung an der Hauptstraße durch Thornton Bridge. Da das Gebäude ursprünglich ein kleines Landhäuschen gewesen war, hatte das Restaurant keinen eigenen Parkplatz, und normalerweise war abends und mittags die ganze Seitenstraße zugeparkt. Es war mittlerer Nachmittag, aber sie hätten zu jeder Uhrzeit einen näheren Parkplatz gefunden als bei ihrem letzten Besuch. Das Restaurant war bis auf Weiteres geschlossen.
Die Mitarbeiter waren alle vor Ort und hatten ziemlich verloren ausgesehen. Sie hatten nichts zu tun, wollten aber wohl durch ihre Anwesenheit guten Willen zeigen oder einfach nur wissen, ob sie noch einen Job hatten.
Catherines und Lauras Fragen hatten ergeben, dass am Donnerstag weder Callahan noch Fleeting aufgetaucht waren. Callahans Frau zufolge – einer wasserstoffblonden Cliché-Gangsterbraut, die mit ihrer Trauernde-Witwe-Masche ziemlich dick auftrug, wohl damit niemand an ihrer echten Trauer darüber zweifelte, eine Zwei-Millionen-Pfund-Villa und weiß Gott was noch an liquidierbarem Vermögen geerbt zu haben – war Frankie Donnerstagmorgen gegen acht aus dem Haus gegangen.
Acht Uhr schien Catherine ein bewusst früher Start in einen arbeitsreichen Tag. Vielleicht sogar einen richtig großen Tag mit einer großen Heroinlieferung.
Fleeting war zuletzt am Abend davor in seinem Lieblingspub gesehen worden, dem Raven’s Crag. Dem Wirt nach hatte er relativ zurückhaltend getrunken und war lange vor der letzten Runde nach Hause gegangen. Auch das deutete darauf hin, dass er am nächsten Tag Großes vorhatte.
»Anthony Thomson«, kündigte Laura an, als sie aufs Handydisplay schaute. »Warum nennen den eigentlich alle Beano?«
»Wegen seines Dienstgrads«, erklärte Catherine. »Er ist ein Detective Constable.«
Lauras Grimasse nach
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