Wer schlafende Hunde weckt
noch ein bisschen zu viel für die Kleinen.
Bei dem Wort »Räuberpistole« musste sie an ihre ehemalige Chefin und Mentorin Moira Clark denken, deren Mantra – oft verstärkt durch einen Hängemappen-Schlag auf den Hinterkopf – schlicht und einfach lautete: »Wir sind hier in Glesca.«
Diesen Satz hatte Catherine zum ersten Mal als Antwort auf ihren Kommentar gehört, dass ein Fall ihr so langsam »wie eine richtige Räuberpistole« vorkam.
»Wir sind hier in Glesca«, hatte Moira ihr erklärt. »Immer, wenn du dir mal nicht ganz sicher bist, atme tief durch und denk an diese unbestreitbare Tatsache: Wir sind hier in Glesca. Bei uns geht’s nicht um raffinierte Pläne, Feinheiten und Verschwörungen. Bei uns geht’s um dumme Wichser, die nach achtundvierzigstündiger Sauftour in einem paranoiden Wutanfall ihrer Freundin den Schädel einschlagen. Bei uns geht’s um zugekokste kleine Schläger, die jemandem vor dem Nachtclub auf dem Schädel rumspringen, weil er sie blöd angeglotzt hat. Bei uns geht’s um schießwütige Gangdealer, die andere schießwütige Gangdealer auf der Straßehinrichten, meistens als Vergeltung für eine fast identische Sache zwei Wochen vorher. Bei uns geht’s Verbrecher gegen Verbrecher. Auge um Auge, Zahn um Zahn, Rechnungen begleichen, Fehden, Eifersucht und simple Rache. Unsere Leute sind einfach gestrickt. Bei uns kann man alles sofort durchschauen. Unsere Detektivgeschichten brauchen gar keinen Detektiv. Wenn du auf der Sauchiehall Street Hufgetrappel hörst, ist es ein Pferd und kein Zebra, und weißt du auch, warum?«
»Wir sind hier in Glesca«, erwiderte sie.
Als Laura losfuhr, hatte Catherine kaum die Beifahrertür geschlossen und sich noch lange nicht angeschnallt. Die Kleine war motiviert, das musste man ihr lassen, aber der Kerl würde immer noch tot sein, wenn sie ankamen.
»Wovon hole ich dich gerade ab?«, fragte Laura. »Gemütlicher Fernsehabend? Dinner für zwei und eine Flasche Wein, die Kinder im Bett?«
»Laura, es ist zehn nach drei.«
»Oh. Tut mir leid.«
»Ich kenn das.«
Das stimmte wirklich. Man verlor leicht das Gefühl für den Tagesablauf normaler Menschen, wenn man Schichtdienst hatte. Zwar war man sich bewusst, dass man mit seinem Zeitgefühl danebenlag, die Frage war nur, wie weit. Also orientierte man sich oft nur grob daran, wie hell es war. Immerhin wusste Catherine jetzt, dass sie nicht allzu frisch-aus-dem-Schlaf-gerissen aussah.
Laura dagegen wirkte so munter und eifrig, dass man ihr raten wollte, mal über ihren Kaffeekonsum nachzudenken. Man konnte sie fast für eine Auszubildende halten, dabei war sie Detective Inspector und konnte auf langjährige Erfahrung zurückblicken. Ihre nüchterne, fast asketische Kleidung bildete einen harten Kontrast zu ihrer jugendlichen Lebhaftigkeit. Catherine konnte sich nicht entscheiden, ob sie wie einjunges Mädchen wirkte, das sich betont erwachsen anzog, oder wie eine Rebellin, die krampfhaft versuchte, ihre wilden Instinkte unter Kontrolle zu halten.
»Man kriegt jedes Mal wieder einen Schreck, wenn man mitten in der Nacht angerufen wird, oder? So richtig gewöhnt man sich nie dran«, stellte Laura fest.
»Ich war sowieso wach. Fraser hatte schlecht geträumt, und als ich ins Zimmer kam, ist Duncan natürlich auch gleich aufgewacht. Die beiden haben mich ins Kreuzverhör genommen, und der Anruf hat mich gerettet. Ich komme nicht damit klar, wenn sie mich nach der Arbeit fragen. Vor ein paar Tagen wollte Duncan wissen, wo Gangland ist. Das hatte er wohl an einer Zeitungsbude gesehen. Ich wollte ihm fast schon erzählen, dass es ein neuer Freizeitpark ist, nur um zu sehen, wie er guckt. ›Da gibt’s ’ne Schlachterbahn und ’nen Autoskooter, aber an der Schießbude musst du aufpassen, die schießen nämlich zurück.‹«
»Für mich hat sich das immer nach einem Supermarkt angehört«, erwiderte Laura, als sie über eine gelbe Ampel raste. »›Gangland: Alles, was der Verbrecher braucht!‹ Was hast du ihm gesagt?«
»Dass man es nicht auf der Karte finden kann.«
»Mein Navi hat’s aber gerade drin. Capletburn Drive, Gallowhaugh. Ein Gewerbegebiet, glaub ich. Passt ja. In Gangland wohnt keiner: Die arbeiten da nur alle.«
»Nein«, protestierte Catherine. »Viele Leute müssen in Gangland leben. Nur die Gangster nicht.«
Sie fuhren Richtung Osten auf der Schnellstraße durch Shawburn, trostlose Mietshäuser zur einen, Nachkriegswohnblöcke zur anderen Seite. Alles wirkte so
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