Wer schlafende Hunde weckt
doch aus irgendeinem Grund hatte er immer Hunger. Das lag wohl an der ganzen Bewegung. Er stand nie still und wirkte immer unruhig und zappelig, was wohl eine Menge Kalorien verbrauchte. Oder er hatte eine ganze Bandwurmkolonie.
Cal trat zur Seite und gab den Blick frei auf die Hauptattraktion.
»Dass einer alleine so schlimm aussehen kann«, meinte Cal.
»Ist das Ihre Diagnose?«
»Nein. Als Arzt muss ich sagen, dass ich das Schlimmste befürchte.«
McDiarmid lag zusammengesunken zwischen zwei Tonnen wie ein Müllsack, der auf seine Abholung wartete. Catherine hatte sich manchmal damit getröstet, dass sie ihren Job mit dem der Glasgower Müllabfuhr verglich. Egal, wie hart man arbeitet, es gibt am nächsten Tag immer wieder etwas Neues wegzuräumen. Wenn die Angst überhandnahm, dass alles umsonst war, erinnerte sie sich daran, dass die ganze Stadt in Müll, Gift und Seuchen ersticken würde, wenn sie oder die Müllmänner nicht zur Arbeit kämen.
McDiarmids Beine lagen abgespreizt vor ihm wie bei einer sitzenden Marionette. Er sah viel kleiner aus, als Catherine ihn in Erinnerung hatte, jetzt wo seine Energie und latente Aggression fehlten. Sie musste daran denken, wie winzig ihre Jungs aussahen, wenn sie schliefen. Ganz anders als tagsüber, wenn sie aufgedreht durch die Gegend sausten. Catherine versuchte, den Gedanken schnell wieder zu verjagen. Nicht jetzt, nicht hier.
Zu spät.
Hast du schon mal ’ne Leiche gesehen?
Schon hatte sie unwillkürlich Frasers Stimme im Kopf, wie einem in schwierigen Gesprächen oft auch das Schlimmste einfiel, was man gerade sagen konnte. Sie hatte mal gelesen, dass bestimmte Mechanismen im Gehirn nicht zwischen positiv und negativ unterscheiden können. Also hatte schon das Bewusstsein, dass sie an etwas Bestimmtes nicht denken wollte, genau dieses Bild heraufbeschworen. Dieser Tatort verkörperte alles, wovor sie ihre Jungs beschützen wollte, alles, was die beiden noch nicht über die Welt erfahren sollten und vor allem nicht über sie selbst.
»Ein Schuss in die Stirn aus nächster Nähe«, erklärte Cal. »Wohl eine Hinrichtung. Und eine Austrittswunde, die wirklich keiner sehen will. Keine Fesselspuren oder Ähnliches, dafür starke Gesichts- und Abwehrverletzungen. Die haben jeden Widerstand aus ihm rausgeprügelt, damit er brav stillhält für den Mann mit der Pistole.«
»Aber wahrscheinlich kaum Blut?«, hakte Catherine nach. »Haben ihre Party woanders gefeiert und hinterher hier das Leergut abgeladen.«
»Sie beweisen mal wieder hellseherisches Talent, Superintendent McLeod.«
Cal wies Catherine oft darauf hin, dass manche ihrer Folgerungen ihm »richtig gruselig« vorkamen, und sie wusste nie, ob er es nicht vielleicht doch ernst meinte. Dabei ging es nicht um Holmes’sche Logiksprünge oder die Gabe etwas zu bemerken, was andere übersehen hatten, sondern um das, was sie herausfand, wenn sie sich einfach nur in den Täter hineinversetzte. Catherine hatte mitgespielt und versucht, aus diesem halben Scherz einen ganzen zu machen. So konnte sie wohl am besten verbergen, dass Cals Kommentar ihr irgendwie naheging. Wenn ein Kerl, der den ganzen Tag mit Leichen arbeitet, einen gruselig findet, geht man am besten davon aus, dass es als Witz gemeint ist. Über die anderen Erklärungen durfte man gar nicht nachdenken.
»Quatsch«, erwiderte sie. »Man knallt nicht einfach so an einem trockenen Abend hinter einer Ladenzeile mit zwei Lieferimbissen und einem Nachtsupermarkt jemanden ab. Das würde selbst in Gallowhaugh auffallen.«
»Doch auch das Abladen der Leiche an dieser Stelle setzt den Täter einem gewissen Risiko aus. Sollen wir daraus etwa schließen, dass die Wahl dieses Ortes irgendeinen Vorteil oder eine besondere Bedeutung mit sich bringt?« Das war eine rhetorische Frage. Wie gewohnt trug er ziemlich dick auf, als würde er sich über die dummen Polizisten lustig machen.
»Ihm gehört das Sonnenstudio neben dem Chinesen«,sagte Raeside. »Die haben ihn neben seine eigene Mülltonne gesetzt.«
»Ah, der Verstorbene war also in der Wellnessbranche tätig?«
»In der Grauzone«, erklärte Raeside. »Eher am pharmazeutischen Ende der Industrie. Das Sonnenstudio war nur zur Geldwäsche da. Die Kunden zahlen bar, man übertreibt ein bisschen, wie gut besucht der Laden ist, und plötzlich sind alle Drogeneinnahmen legal.«
»Sie haben natürlich recht, Cal«, sagte Catherine. »Die hätten ihn überall abladen können. Verbrennen, vergraben, damit
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