Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Brookmyre
Vom Netzwerk:
ruhig, so still, und Catherine musste an die Leute denken, die hinter den geschlossenen Gardinen ihr Leben fristeten.
    Laura warf neugierige Blicke auf alles, woran sie vorbeifuhren. Sie hatte sich erst vor Kurzem von Lothian and Bordershierher versetzen lassen und kannte sich mit der Geografie und dem Lokalkolorit der Gegend noch nicht so richtig aus.
    »Schon mal in Gallowhaugh gewesen?«, fragte Catherine.
    »Nein. Wie ist es da?«
    »Kennst du solche Gegenden, die einfach nur heruntergekommen und bedrückend sind, wo alle sagen, was es für eine Schande ist, weil es dort früher so schön war?«
    »Klar. In so einer bin ich aufgewachsen.«
    »So was sagt über Gallowhaugh keiner. Das war immer schon ein knallhartes Pflaster. Schon seit Jahrzehnten fest in Gangsterhand.«
    Laura hatte die Adresse in ihr Navi eingegeben, aber das wäre eigentlich nicht nötig gewesen. Der Tatort war so hell erleuchtet, dass man ihn wahrscheinlich mit dem bloßen Auge aus dem Weltraum hätte sehen können. Die Szene strahlte wie Blackpool, zwischen den tragbaren Strahlern blitzten die Blaulichter auf. Die schäbige kleine Ladenzeile aus den Sechzigern hatte bestimmt noch nie so interessant ausgesehen, schon gar nicht die Hinterhöfe, wo sich wohl gerade alles abspielte. Die Scheinwerfer waren in einer Gasse parallel der Straße mit den Läden aufgestellt, hinter der sich ein Gelände mit umgebauten Garagen befand, das wohl das Gewerbegebiet darstellen sollte, von dem Laura gesprochen hatte.
    Die Gasse war breit genug für ein einzelnes Fahrzeug, bei dem es sich wohl meistens um den Müllwagen handelte. Das Gewerbegebiet lag hinter einer Mauer, und nach Süden, Richtung Shawburn Road, lag direkt die Rückseite der Ladenzeile. Die Gasse verlief in Ost-West-Richtung, war knapp 150   Meter lang, Zufahrten an beiden Enden, bot aber ohne Leiter keinen Zugang zu den umgebauten Garagen.
    Laura parkte gegenüber der Einfahrt auf dem Capletburn Drive, nachdem sie sich an den beiden Streifenwagen vorbeimanövriert hatte, die die Zufahrt von der Hauptstraße durch Gallowhaugh blockierten. Ein Polizist und eine Polizistinin Uniform sicherten die Einfahrt, mussten vor der kleinen Gasse in den frühen Morgenstunden aber keine Menschenmassen abwimmeln. Die Frau war eigentlich noch ein junges Mädchen, sie konnte noch nicht lange dabei sein. Sie bemühte sich, professionell und beherrscht zu wirken, was einigermaßen klappte, aber Catherine konnte sehen, dass Tränen geflossen waren. Vor Jahren hatte sie das auch durchgemacht. Gerade als Frau muss man sich abgebrüht geben und seine wahren Gefühle verbergen, damit ja niemand glaubt, dass man mit solchen Sachen nicht fertig wird. Nach einiger Zeit gibt es dann keine Reaktionen mehr, die man verstecken müsste, und man wird sich bewusst, dass man eigentlich davor hätte Angst haben sollen, womit man alles fertig werden kann.
    »Erste Leiche?«, fragte Catherine sie und lächelte verständnisvoll.
    Sie nickte schüchtern.
    »Und was für eine«, sagte ihr älterer Kollege zustimmend und erklärend. »Sie schlägt sich tapfer. Ich bin übrigens PC Jim Keeney, meine Kollegin ist PC Jacqui Malone.«
    »Ich bin Detective Superintendent McLeod. Das hier ist DI Geddes. Sind die Männer in Weiß schon da?«
    »Seit zehn Minuten«, erwiderte Keeney.
    »Wer denn? Cal O’Shea?«
    »Weiß nicht.«
    »So ein Kleiner, hat was von ’ner Leiche?«
    »Dazu sag ich lieber …«
    »Hatte er was zu essen in der Hand?«
    PC Malone nickte und sah aus, als würde ihr jeden Moment schlecht werden. »’Nen Mars. Weiß ja nicht, wie man auf so eine Idee kommt.«
    »Ich auch nicht, aber dann ist es wohl Cal.«
    In einem Bild, das in seiner unheilschwangeren Dramatik nicht realitätsferner hätte sein können, sah Catherine Bill Raesides theatralisch vom Scheinwerferlicht gerahmte Silhouetteaus der Gasse auf sie zukommen. Raesides Gegenwart war normalerweise ein beruhigendes Zeichen dafür, dass nichts ansatzweise Unheilvolles oder Dramatisches passieren würde, und wenn doch, wäre er dabei eher ein unwichtiges Detail im Hintergrund als das hell erleuchtete Kernstück.
    Manche Leute im CID sagten, Raeside »gehört zur Ausstattung«, was wohl darauf hinwies, wie lange er schon dabei war, aber auch, wie wenig er auf Karriere aus war. Wenn er zum Mobiliar gehörte, war er für Catherine ein leicht abgenutztes, aber besonders bequemes Sofa. Er war eine menschliche Komfortzone: verlässlich, berechenbar und unerschütterlich,

Weitere Kostenlose Bücher