Wer schlafende Hunde weckt
Kollegen bestehenauch einige darauf, dass Sie dabei sind, aber das hab ich natürlich nie gesagt.«
Ihr Mund wurde trocken, während sie diese Informationen verarbeitete und sich gleichzeitig fragte, warum er ihr so Honig um den Bart schmierte. Vielleicht als Wiedergutmachung für die nächtliche Störung ihres Urlaubs, aber so einfach war es bei Sunderland selten. Warum sollten ihre Kollegen – wer auch immer damit gemeint war – sie unbedingt bei diesem Fall dabeihaben wollen, und warum war er so indiskret, solche leisen (und zweifellos privaten) Vertrauensbekundungen an sie weiterzuleiten? Sie gab es auf. Es hatte keinen Sinn, über die Launen und Allüren eines Mannes wie Sunderland nachzudenken, zumal er womöglich genau das beabsichtigte. Was diese Art von Polizeidiplomatie anging, hatte sie sich schon vor Langem dem weisen Urteil des großen Computers in Kriegsspiele angeschlossen: »Man kann nur gewinnen, wenn man nicht mitspielt«.
»Laura Geddes ist auf dem Weg«, erklärte Sunderland. »Sie ist in fünf Minuten bei Ihnen. Sie können nicht sagen, dass ich Sie schlecht behandle, McLeod.«
Als sie gerade etwas Höflich-Bissiges erwidern wollte, legte er schon auf.
Drew steckte den Kopf durch die Kinderzimmertür, seine sandfarbenen Haare waren anziehend zerzaust. Ehrlich gesagt wirkte alles an ihm noch ein bisschen attraktiver, wenn sie mitten in der Nacht aus dem Haus musste.
»Arbeit?«
»Tut mir leid. Ich hab ja eigentlich noch Urlaub, aber …«
»Was Großes?«
»Scheint so.«
Sie schlüpfte in einen Hosenanzug, band sich die Haare so ordentlich zurück, wie es um diese Uhrzeit eben ging, und warf einen kurzen Blick in den Spiegel. Sie wollte sich nur versichern, dass sie für die Arbeit vorzeigbar aussah, bevor sieaus dem Haus ging, aber das war auch das Einzige, was sie ihrem Äußeren abgewinnen konnte. Es war vielleicht nicht die beste Uhrzeit für solche Urteile, aber sie fand, sie sah alt aus. Am Haaransatz schimmerte es grau durch, und auch sonst war es mit ihrem natürlich seidigen Schwarz vorbei. Sie musste dringend mal wieder zum Färben, was sie bis nach dem Urlaub aufgeschoben hatte, weil Sonne, Sand und Salzwasser für die Haare nie Gutes verhießen.
Ihre Augen sahen ein bisschen verquollen aus, aber immerhin dehnte das die Haut und kaschierte ein paar Fältchen. Drew sagte immer, sie verliehen ihren Augen Ausdrucksstärke, aber andererseits sprach er auch von ihrer »aristokratischen« Nase, die ein neutraler Beobachter wahrscheinlich eher als »groß« einstufen würde. Sein Urteil war alles andere als objektiv, zumal dahinter oft der Versuch stand, sie ins Bett zu locken, aber sie hörte so etwas trotzdem gerne.
Als Catherine leise nach draußen ging, konnte sie immer noch die Fragen ihrer Söhne hören, obwohl sie durch etwas so Schwerwiegendes unterbrochen worden waren. Räuberpistole. Sie wollte sich wirklich nicht darauf einlassen. Überhaupt sprach sie nur ungern mit den Jungs über ihren Beruf, doch leider konnten die nie genug davon bekommen. Die beiden gierten nach allem, wovor sie sie eigentlich bewahren wollte. Wo waren diese bösen, kleinen Monster plötzlich hergekommen? Was war aus den unschuldigen, süßen Kerlchen geworden, die sie immer aus dem Kindergarten abgeholt hatte?
Sie hatte eigentlich immer gedacht, dass sie Töchter haben würde. Dafür fehlte natürlich jede rationale Grundlage; sie hatte sich ihr Leben als Mutter bloß immer so vorgestellt, sich vielleicht an ihre eigene Kindheit erinnert. Sie würde kleine Mädchen haben, die sich Pferdebildchen und Verkleidungsfotos ins Tagebuch klebten; sie würde ihnen Dolly und Heidi vorlesen und ihnen von ihren Lieblingsspielen aus ihrereigenen Kindheit erzählen. Aber nein, sie hatte zwei Jungs bekommen und war als einzige Frau im Haus stark in der Unterzahl. Keine Pferdebildchen, keine Prinzessinnenkostüme, sondern Pistolen, Schwerter, Aufklebewunden und Plastikhundekacke. Statt Dolly und Heidi las sie Mr Gum und Käpt’n Superslip vor, und statt von einer unschuldigen Kindheit auf der Alm musste sie ihnen von Räuberpistolen und Leichen erzählen.
Dabei hätte sie weniger Skrupel davor, ihnen stinkende Leichen zu beschreiben als die Details der Ermittlungen. Blut und Eingeweide waren nicht das Problem, wofür auch das Regal voller Grässliche Geschichte – Bände sprach, aber die verkommene Realität des Alltags, die die Morde umgab, war etwas anderes. Die grauenvolle Gegenwart war wohl doch
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