Wer schlafende Hunde weckt
»Stammkunden. Ortsansässige. Ärzte, Anwälte, Lehrer. Ich glaube, Sonntag war sogar Marghrad Bell mit ihrer Familie hier, die Abgeordnete im schottischen Parlament dieses Wahlkreises. Sie verschwenden hier wirklich Ihre Zeit, glauben Sie mir.«
Wieder dieser neutrale Ton, absolute Überzeugung und Aufrichtigkeit. Keine Arroganz, kein Spott. Neben der Provokation auf zwei Beinen namens Fleeting wirkte Callahan fast, als wollte er wirklich helfen.
Und tatsächlich zeigte Fleeting genug Arroganz und Spott für beide. Als Catherine und Laura aufstanden, verschränkte er mit einem frechen Grinsen die Arme.
Die Bedienung, Gillian, brachte die Reservierungsliste von Sonntagabend. Catherine ließ sich von Fleeting die Handynummer seines One-Night-Stands von Samstag diktieren und schrieb sie mit aufs Blatt, damit Laura es nicht tun musste. Sie stand anscheinend kurz davor, etwas Unüberlegtes zu tun. Catherine war zwar auch nicht glücklich, aber sie war hier noch nicht fertig, und wusste, dass sie noch etwas warten musste. Sie würde es Callahan nicht gönnen, sie von Anfangbis Ende des Besuchs zu kontrollieren und den Besuch völlig diskret zu halten.
Sie ging mit den anderen in den Barbereich, drehte auf dem Weg zum Ausgang aber eine theatralische Pirouette, um die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich zu ziehen. Der Speisesaal war wohl außer Hörweite, aber im Barbereich befanden sich ein gutes Dutzend Gäste, darunter ein Tisch mit genau solchen aufgedonnerten jungen Frauen, wie Fleeting sie sicher gerne beeindruckte.
»Mr Callahan, ich habe noch eine letzte Frage an Ihren Mitarbeiter, Mr Fleeting: Warum sitzen Sie eigentlich nicht im Gefängnis? Zugegeben, eine recht allgemeine Frage, die sich wohl die meisten Leute stellen, wenn sie Sie sehen, aber ich meine sie ganz wörtlich. Sie wurden vor kaum zwei Monaten mit einer stattlichen Menge Heroin gefasst und sollten bis zu Ihrem Verfahren in Untersuchungshaft bleiben, doch jetzt sind Sie hier, frei wie ein Vogel, der sich dumme, junge Mädchen ›klarmacht‹, wie Sie sagen, die ›ihn überall reinnehmen‹, aber ansonsten ›nix Dolles‹ sind. Wie kommt’s?«
Zu Catherines Zufriedenheit verschwand das großspurige Grinsen von Fleetings Gesicht, und er sah sich besorgt nach dem Tisch mit den jungen Frauen um, aber jede weitere Reaktion wurde dadurch gebremst, dass Callahan ihm behutsam die Hand auf den Arm legte.
»Ich möchte meine Gäste nicht diesem Ton aussetzen«, sagte Callahan und starrte sie durchdringend, aber ohne Wut an. »Falls Sie dieses Gespräch fortführen möchten, sollten wir aus Rücksicht nach draußen gehen.«
Er versuchte nicht, sie weiter Richtung Tür zu führen, sondern verharrte schweigend und mit einem neutralen Gesichtsausdruck, der besagte, dass keiner von ihnen beiden irgendwelche Fragen beantworten würde, bevor sie nicht nach draußen gingen. Catherine sah, wie er kaum merklich den Kopf schüttelte, als die Bedienung wieder die Tür zum Privatraum öffnen wollte. Mit solchen Höflichkeiten war es nun vorbei. Aber auch wenn sie nach draußen gehen mussten, ging Catherine nicht davon aus, dass ein klassischer Parkplatz-Krach bevorstand. Callahan würde dafür sorgen, dass es nicht laut wurde. Zumindest nicht auf seiner Seite.
»Okay«, sagte Catherine, als sie im ehemaligen Vorgarten auf der Rollstuhlrampe zum Eingang standen. »Warum sind Sie draußen, Gary?«
Er grinste.
»Das würden Sie wohl gerne wissen.«
»In der Tat. Ich bin richtig neugierig. War es ein kleiner Formfehler? Ein Deal mit dem Staatsanwalt? Ich find’s auch interessant, wie Sie sich zieren. Normalerweise würden Sie doch gewaltig die Klappe aufreißen. Haben Sie wen verpfiffen? War’s das?«
»Sagen wir mal, es geht um Angelegenheiten weit oberhalb Ihrer Gehaltsstufe«, erwiderte Fleeting.
Bisher hatte Catherine ihre Emotionen kontrollieren können, aber jetzt spürte sie, wie die Wut hochkochte, und zwar umso stärker, weil sie hauptsächlich ihr selbst galt. Sie hätte ihre Frage im Raum stehen lassen sollen; sollte Fleeting sehen, wie er den Schaden wiedergutmachte. Stattdessen hatte sie sich in die Karten gucken lassen und zugegeben, dass es etwas gab, was er wusste und sie nicht, und wie sehr sie das ärgerte.
Callahan merkte es auch sofort.
»Das bringt Ihnen das Blut zum Kochen«, sagte er, die Augen voll durchdringendem, blutleerem Ernst. »Nicht wahr? Sie tun Ihre Arbeit, geben Ihr Bestes, und irgendwer weiter oben entscheidet sich
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