Wer schlafende Hunde weckt
War er sich sicher, dass Fleeting nichts mit dem Mord an McDiarmid zu tun hatte, oder nur, dass Fleeting genau wusste, warum sie da waren?
»Es geht um James McDiarmid«, sagte Catherine. »Ich höre, Sie hatten eine gemeinsame Bekannte.«
»Was ist denn? Gibt’s was Neues, oder ist er immer noch tot?«
Doch, er wusste, warum sie da waren. Er wollte wohl Desinteresse vortäuschen, ihm fehlte aber die emotionslose Souveränität seines Chefs. Außerdem ließ er es sich nicht nehmen, den großen Macker raushängen zu lassen. Sobald er mit Polizisten in einem Raum war, spielte er den Harten. Man hätte wohl sagen können, dass er dieses Verhalten mit der Muttermilch aufgesogen hatte, aber die Chance, damals in Fleetings Gegend eine stillende Mutter zu finden, glich der, im Netball-Team der elften Klasse seiner Schule eine Jungfrau zu finden.
»Wo waren Sie Sonntag zwischen halb zwölf morgens und Mitternacht?«
»Das ist ja mal ’n ziemlich großes Zeitfenster«, antwortete er an Catherine gewandt, aber eindeutig auch für Callahan bestimmt. »Mann, da können einem ja die Gaswerke genauer sagen, wann sie den Boiler reparieren kommen.«
Callahan deutete ein Grinsen an, anscheinend echte Erheiterung und nicht nur eine Solidaritätsgeste. Catherine spürte aber auch einen Anflug von Ungeduld, er war wohl nicht begeistert von der Aussicht, dass Fleeting die Unterhaltung unnötig hinauszögerte. Entweder war ihm das Ganze wirklich egal, oder er hatte Besseres zu tun.
»Na dann fangen Sie doch mal an, das Fenster ein wenig zu füllen«, forderte Laura ihn in einem gereizt-herablassenden Ton auf, der eindeutig klarstellte, was sie von Fleetings Humor und ihm im Allgemeinen hielt.
»Wo waren Sie?«, wiederholte Catherine.
»Sonntag?« Er zuckte die Schultern. »Bis mittags im Bett, bestimmt bis eins, vielleicht länger. Hab mir Samstagabend ’ne kleine Schlampe klargemacht.« Dabei sah er gespielt verschwörerisch Laura an, als würde sie diese Anekdote womöglich bejubeln oder könnte sich damit identifizieren. »Nichts Großartiges, aber ’ne Muschi ist ’ne Muschi. Dann bin ich runter in die Kneipe, frühstücken und das Spiel gucken. Das war so bis sechs. Dann nach Hause, geduscht, umgezogen und hierhergekommen. Die brauchten wen an der Bar, sind grad zu viele im Urlaub. Ich hab als Gefallen für Mr Callahan ausgeholfen. So Viertel vor eins haben wir zugemacht. Reicht das für Ihr Fenster?«, fragte er und grinste Laura frech an.
»Hat diese ›kleine Schlampe‹ vielleicht auch einen Namen?«, fragte Catherine. »Den bräuchten wir nämlich, wenn wir Ihr Alibi bestätigen wollen.«
»Lynn, glaub ich, vielleicht auch Lyndsay. Hab ja gesagt, war nix Dolles. War schon ziemlich wild, sind die aber heute fast alle. Nehmen ihn überall rein, wie richtige, kleine Pornostars.«
Catherine konnte dem Köder besser widerstehen als Laura. Vielleicht lag es an ihrer längeren Erfahrung, vielleicht daran, dass der Köder nicht ihr galt. Sie fragte sich, ob sie sich beleidigt fühlen sollte, dass sie schon zu alt war, um geärgert zu werden.
»Tja, wenn die Kleine sich jetzt auch nicht mehr an Sie erinnert, war’s das wohl mit dem Alibi, was?«, erwiderte Laura.
»Die wird sich schon noch erinnern. War ja bei mir in der Bude. Hat mir ihre Handynummer dagelassen. Ich schreib sie Ihnen auf«, sagte er zu Laura. »Oder Sie geben mir Ihre und ich schick Ihnen ’ne SMS .«
»In welchem Pub waren Sie?«, fragte Catherine.
»Bei mir um die Ecke. Im Raven’s Crag. Kennen Sie den?«
»Ja«, bestätigte Catherine mit einem Seufzen. »Da holen sich viele ihre Alibis. Hat Sie da vielleicht auch jemand gesehen, der noch keine fünf Jahre gesessen hat?«
»Beim Raven’s bin ich mir da nicht so sicher, aber hier haben mich Sonntagabend bestimmt ’n paar Dutzend Leute gesehen, und den Gästen des Bay Tree wollen Sie so was ja wohl nicht unterstellen, oder?«
»Gary war Sonntag ungefähr ab sieben hier«, sagte Callahan mit absoluter, fast zu starker Überzeugung. »Ich habe die Reservierungsliste noch hier, falls Sie einzelne Gäste befragen möchten. Ihre Telefonnummern stehen mit auf dem Blatt. Gillian wird Ihnen eine Kopie machen«, fügte er hinzu und winkte die Bedienung heran.
Er stand auf, um ihr ihre Anweisungen zu geben, und seine Körpersprache gab den anderen zu verstehen, dass er erwartete, dass sie nun gingen, weil für ihn alles gesagt war.
»Gut sechzig, siebzig Leute haben ihn gesehen«, sagte er.
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