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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Brookmyre
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gesehen hatte. Außerdem waren ihre Eindrücke natürlich von der – lange unterdrückten, aber nun immer stärkeren – Ahnung beeinflusst, dass sie hergekommen war, um jemanden zu überraschen, der auf irgendeine Art und Weise mit einem berüchtigten, brutalen Gewaltverbrecher in Verbindung stand.
    Was für ein Mensch wohnte in so einem Haus?, fragte siesich, als sie den Honda parkte, wollte aber schnell wieder an etwas anderes denken, weil sich »ein kranker Massenmörder« ziemlich richtig anhörte. Es wurde auch nicht besser, als sie hinter dem Haus ein surrendes Dröhnen hörte, das von einem Heckentrimmer stammen konnte, in ihrer Einbildung aber zweifellos von einer Kettensäge ausging.
    Als sie die Treppe zur Eingangstür hinaufstieg, fiel ihr ein, dass niemand von ihrer Fahrt hierher wusste. Bis zum Nachmittag konnte sie ermordet und verscharrt sein – vielleicht direkt neben Jim.
    Sie klingelte und war zutiefst erleichtert, als schnelle Schritte und aufgeregt-energiegeladene Kinderstimmen auf die Tür zukamen. Sie hörten sich nach Liverpool an. Jasmine hatte ein feines, zuverlässiges Ohr für Dialekte und konnte manchmal schon nach einigen Worten Spuren verschiedener Akzente erkennen. Bei den Stimmen hinter der Tür war solches Feingefühl aber nicht nötig.
    Dann hörte Jasmine, wie die Kinder von einer älteren Frau mit neutralerem, englischem Middle-Class-Akzent mit einem Unterton von Birmingham und ganz leichtem lokalen Tyneside-Einschlag von der Tür weggerufen und auf ihr Zimmer geschickt wurden.
    Die Kinderstimmen wurden leiser. Die Kleinen sollten sich nicht nur im Hintergrund halten, sondern die Frau wartete, bis sie weg waren, bevor sie die Tür öffnete. Jasmine musste an eine Freundin denken, bei der zu Hause der Familienschäferhund immer erst ins Hinterzimmer gesperrt werden musste, bevor Besucher hereingelassen wurden. Sie verstand aber bald, wessen Schutz diese Vorsichtsmaßnahme hier galt.
    Die Tür wurde von einer Frau Ende vierzig, Anfang fünfzig geöffnet. Sie war ungefähr so groß und so schlank wie sie selbst, doch Jasmine hatte den Eindruck, dass die Frau sie wie eine Ringerin hochheben und durch die Luft werfen könnte. Sie trug einen Haarreif, und ihr Gesicht war ungeschminkt,aber unbestreitbar attraktiv in seiner würdevollen Reife. So ein Gesicht meinten Leute wohl, wenn sie von einer »aparten« Frau sprachen. Außerdem kam es ihr wie das Gesicht einer Frau vor, mit der man sich lieber nicht anlegte.
    »Kann ich Ihnen helfen«, fragte die Frau. »Wissen Sie, wo Sie sind, oder haben Sie sich verfahren?«
    Selbst hier, im tiefsten Nirgendwo von Northumberland, wirkte die Frage seltsam, fast wie ein Code. Jasmine bemerkte an ihrem Ton und Gesichtsausdruck Anzeichen eines inneren Konflikts. Sie wirkte misstrauisch, wollte es sich aber wohl nicht anmerken lassen, wie eine Beschützerin, die nicht verraten wollte, dass es hier etwas zu beschützen gab.
    »Nein, ich hab mich nicht verfahren. Ich heiße Jasmine Sharp. Ich bin Privatdetektivin.«
    Es kam ihr vor, als würde sie eine Textzeile vortragen, bloß war sie sich auf der Bühne nie so unsicher, weil sie dort nichts als echt verkaufen musste – schon gar nicht sich selbst.
    Alle Anzeichen eines Konflikts schwanden aus dem Gesicht – nach dem letzten Wort war die Frau auf volle Verteidigung gegangen und hatte die Zugbrücke hochgezogen.
    »Was wollen Sie hier?«, fragte sie.
    »Ich muss mit jemandem sprechen, und ich habe diese Adresse bekommen.«
    Die Frau schwieg. Sie war nicht feindselig, aber Jasmine konnte ihr Misstrauen spüren wie Pfeile hinter Schießscharten.
    »Er heißt Tron Ingrams«, erklärte sie.
    Nun entspannte sich die Frau anscheinend wieder ein bisschen. Das Misstrauen blieb, aber nicht die Verteidigungshaltung. Tron Ingrams war schon mal nicht der, den die Frau beschützte.
    »Worüber wollen Sie mit ihm sprechen?«
    »Ich ermittle in einem Vermisstenfall, und ich glaube, Mr   Ingrams hatte im Oktober schon mal meinem Kollegenweitergeholfen. Ich hatte gehofft, er könnte mir vielleicht noch ein paar Fragen beantworten.«
    Jasmine setzte darauf, dass sie grünes Licht bekommen würde, wenn sie von einem vorherigen Kontakt mit Ingrams sprach, aber die Frau blieb hartnäckig.
    »Wer wird denn vermisst?«, fragte sie. »Wen suchen Sie?«
    »Glen Fallan«, erwiderte Jasmine.
    Die Frau schüttelte den Kopf, aber nicht aus Ablehnung, sondern weil sie den Namen nicht kannte. Auf jeden Fall wurde sie jetzt

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