Wer schlafende Hunde weckt
hatte.
»Typen wie Frankie neigen meiner Erfahrung nach weniger zu dummen Spielchen und Machtbeweisen, wenn man ihnen ihre wertvolle Zeit stiehlt. Man kriegt direktere Antworten von ihnen, wenn sie einen nicht loswerden können. Und überhaupt machen wir jede mögliche Verlegenheit dadurch wieder wett, dass wir dem Laden durch unsere Anwesenheit ein bisschen Klasse verleihen.«
Callahan schätzte die Situation genau richtig ein, das musste Catherine ihm lassen. Er hatte wohl gesehen, wie Catherine und Laura der Bedienung am Empfang ihre Dienstausweise zeigten, und war durchs Restaurant geeilt, um die beiden abzufangen, bevor sie noch weitere Aufmerksamkeit auf sich zogen. Gleichzeitig hatte er sich wohl mental auf das Gespräch mit ihnen vorbereitet. Er hatte Catherines Timing und den gewünschten Effekt sicher sofort durchschaut, ließ sich seine Wut aber nicht anmerken und führte die beiden zügig, aber höflich in den Privatspeisesaal des Bay Tree, außer Sichtweite der anderen Gäste. Sollte ihre Anwesenheit doch jemandem aufgefallen sein, könnte er glauben, Callahan habe sie persönlich eingeladen, so ruhig verhielt er sich.
Überhaupt war Callahan sehr ruhig. Ganz anders als Paddy Steel, der Aggressivität ausgestrahlt hatte wie ein Van-de-Graaf-Generator statische Elektrizität, schien Francis Callahan, wie er sich mittlerweile gern nannte, sie eher zu absorbieren. Er gab überhaupt nichts preis, und wäre er Polizist gewesen, hätte er allein durch seine nervenaufreibende, tiefe Stille Geständnisse herbeiführen können.
Er ließ sie beide Platz nehmen, verzichtete aber darauf, den freundlichen Gastgeber zu spielen und ihnen etwas zu trinken anzubieten. Keine Spielchen; oder zumindest keineeinfachen. Absolute Aufrichtigkeit ging von ihm aus, die aber nicht mit Fürsorglichkeit oder Empathie zu verwechseln war. Es war die Aufrichtigkeit, mit der sich auch ein Richter an den Saal wandte, wenn er seine schwarze Kappe aufgesetzt hatte.
Wenn Callahan einem sagte, dass er einem Böses wollte, müsste man sich Sorgen machen. Bei so viel Aufrichtigkeit.
»Sie sind wegen Jai McDiarmid hier«, sagte er, als sie sich gesetzt hatten. Wieder versuchte er, Catherine den Wind aus den Segeln zu nehmen, und übersprang die Formalität, so zu tun, als hätte er keine Ahnung, warum die Polizei wohl mit ihm reden wollte. Das sollte sie wohl überraschen, aber Catherine betrachtete es als Bestätigung ihrer Strategie: Er wollte sie so schnell wie möglich wieder loswerden.
»Warum sollten wir deshalb zu Ihnen kommen?«, fragte sie und stellte sich an seiner Stelle dumm.
»Sie sind ja auch nicht wegen mir hier. Sie wollen sicher mit Gary sprechen. Jai hat hinter seinem Rücken mit seiner Freundin rumgemacht. Ich lasse ihn eben holen. Er ist oben im Büro.«
In Callahans Stimme schwang keine Bedrohung mit, keine Verärgerung und kein Sarkasmus. Er hörte sich an, als hätte er von den Ermittlungen nichts zu befürchten, weil sie ihn in keiner Weise betrafen. Er ließ sich keinen Zorn anmerken, während er diese Unannehmlichkeit über sich ergehen ließ. Er zeigte sich nicht mal betont gelangweilt, wie es andere in seiner Situation tun würden.
Mit einem kaum merklichen Nicken rief er eine Bedienung herbei. Das Mädchen hatte wohl die ganze Zeit in Callahans Sichtweite gestanden, der im Blickfeld der offenen Tür zur Bar saß. Der Glasanbau des Hauptspeisesaals lag dem Privatraum gegenüber, der nach hinten rausging. Der Raum hatte sogar noch eins der kleinen Fenster, an die Catherine sich ausihrer Kindheit erinnerte, nur die gerafften Gardinen waren durch moderne Vertikaljalousien ersetzt worden. Callahan flüsterte der jungen Frau etwas zu, und sie verließ den Raum zielstrebig, aber ohne Eile.
»Kannten Sie ihn?«, fragte Catherine.
Callahan nickte mit aufrichtig weit geöffneten Augen, die aber nicht verrieten, ob er McDiarmid aufrichtig gehasst oder ihm aufrichtig den Tod gewünscht hatte. Ungebeten würde er weiter nichts sagen.
»Was hatten Sie für eine Meinung von ihm? Hatten Sie geschäftliche Beziehungen zu ihm? Sind Sie mal mit ihm aneinandergeraten?«
»Ich kannte ihn nicht persönlich. Ich weiß, was für ein Mann er war. Ich weiß von ein paar Dingen, die er getan hat und von ein paar anderen, die ihm nachgesagt werden.«
Viel mehr würde er wohl nicht ins Detail gehen, nahm Catherine an. Alles, was er sagte, war völlig neutral gehalten, als wäre jedes seiner Worte schon vom Anwalt abgesegnet,
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