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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Brookmyre
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bezweifelte stark, dass sie das Haus nur mithilfe einer Karte gefunden hätte. Selbst mit dem Navi war sie zweimal daran vorbeigefahren, weil sie der Software nicht einfach blind vertrauen wollte.
    Die Adresse lautete 14   Hexham Road, Tolheaton. Der Dorf- oder Ortskern sollte noch gut drei Kilometer entfernt sein. Sie hörte auf das Gerät, wendete, aber wollte dem blinkenden Punkt nicht glauben, der sich mitten auf einem Feld nördlich der Straße befand. Als sie zum dritten Mal vorbeifuhr, sah sie zwischen den wuchernden Hecken unter hohen Bäumen das schmale Tor, kaum breiter als ein einzelnes Auto. Am verwitterten rechten Torpfosten hing tatsächlich eine rostige Vierzehn. Nummer zwölf war wohl nicht unbedingt ein direkter Nachbar in Tasse-Zucker-leih-Entfernung.
    Vor dem Aussteigen schaltete sie den Warnblinker an und schaute in den Spiegel. Sie stand auf einer schmalen, kleinen Landstraße und hatte lange kein anderes Auto mehr gesehen, aber das Tor war nah bei einer Kurve, und je ruhiger eine Straße war, desto eher konnte sie sich vorstellen, dass plötzlich ein Rallyewagen angerast kam.
    Sie war in ihrem geliebten roten Civic heruntergefahren und hatte die ganze Zeit besorgt nach der stetig sinkenden Tankanzeige geschielt. Am Morgen hatte sie Geld abgehoben, zwar nicht alles fürs Benzin ausgegeben, aber wenn sie auf der Rückfahrt noch mal tanken musste, hätte das bedenkliche Auswirkungen auf ihren Speiseplan für den Rest der Woche.
    Sie machte sich schon Gedanken, wie sie kurzfristig an Geld kommen konnte, und ging gnadenlos ihren gesamten Besitz durch, wie viel sie für dieses oder jenes bei eBay bekommen würde. Was der Honda bringen würde, hatte sie aber nicht überlegt. Bevor sie den verkaufte, würde sie lieber anschaffen gehen. Den würde sie fahren, bis die Räder abfielen. Länger als die meisten Menschen, länger als jede Schule oder das College oder jede Wohnung und jedes Haus, in dem sie gewohnt hatte, war er ein vertrauter, verlässlicher Teil ihres Lebens gewesen.
    Er hatte ihrer Mutter gehört und kam einem Neuwagen näher als jedes andere Auto, das Beth Sharp je besessen hatte. Sie hatte ihn gekauft, als Jasmine sieben war. Dieses schnittige, flache Mittneunziger-Modell kam Jasmine damals so exotisch, so sportlich vor wie ein Ferrari. Der Wagen war gebraucht, aber damals kaum ein Jahr alt und selbst dafür sehr wenig gelaufen. Dem Händler in Abbeyhill nahe Easter Road nach hatte er einem Englischprofessor an der Edinburgh University gehört, der irgendein Standardwerk geschrieben hatte, was bedeutete, dass die Erstsemester ihm jedes Jahr einen soliden Tantiemen-Scheck bescherten, den er teilweise in ein neues Auto investierte. In diesem Jahr war außerdem ein neues Modell erschienen, was den Wert des alten stark gesenkt hatte.
    Jasmine konnte nicht verstehen, warum sie das Design geändert hatten. Der Neue sah unauffällig und spießig aus,und sie und ihre Mum waren einer Meinung, dass ihrer der schönste Wagen der Welt war. Dazu war er noch solide gebaut, und gewissenhafte Pflege und Wartung hatte ihn all die Jahre fit gehalten, bis er schließlich seine Besitzerin überlebt hatte.
    Mum hatte ihn Jasmine vermacht, und als sie sich zum ersten Mal hinters Steuer setzte, brach sie in Tränen aus. Alles roch nach ihrer Mutter, als wäre sie nur kurz herausgesprungen, um etwas zu besorgen, und käme gleich wieder. In Wirklichkeit roch es natürlich nicht nach ihr, sondern Jasmine verband den Geruch des Wagens einfach mit ihrer Mutter.
    Auch nach all den Monaten kam es ihr noch vor, als hätte noch vor Kurzem ihre Mutter darin gesessen. Manchmal musste Jasmine deswegen immer noch weinen, manchmal war es ihr auch ein kleiner Trost, aber auf jeden Fall würde dieses Gefühl immer bleiben.
    Sie zog das Tor auf, hinter dem sich ein schmaler Feldweg befand. Er führte ein kurzes Stück durch einen alten Wald, der sich dann zu einer groben, aber gepflegten Wiese hin öffnete, hinter der ein großes Haus stand.
    Es war ein düsteres, abweisendes Gebäude, zu groß für einen alleine oder auch für eine einzelne Familie, aber nicht protzig genug für ein Herrenhaus. Ihr fiel das Wort »Konvent« ein, aber nur, weil sie schnell etwas suchte, um ihre erste Assoziation zu vertreiben: »Irrenhaus«. Es sah wirklich so aus, als könnte hier eine Verrückte auf dem Dachboden wohnen, obwohl dieser Gedanke wohl hauptsächlich darauf zurückzuführen war, dass sie auf der Fahrt Schilder nach Rochester

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