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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Brookmyre
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bei den Aufträgen nach, an denen er gerade gearbeitet hat. Die Glen-Fallan-Akte lag offen auf dem Tisch und war wohl eine der letzten, die er sich angesehen hat.«

    Ingrams seufzte leise, eher frustriert als gereizt.
    »Auf die Gefahr, Sie in Ihrer Nur-der-wahrhaftige-Messias-Theorie zu bestärken – was stand denn in der Akte, dass Sie zu mir kommen wollten? Ich hätte gedacht, ich bin da als Sackgasse vermerkt.«
    »Ihr Name und die Adresse des Zufluchtsorts waren überhaupt das Einzige in der Akte. Weshalb ich mich ernsthaft frage – und bitte entschuldigen Sie, wenn ich kafkaesk werde –, warum er sie sich plötzlich wieder ansehen sollte, wenn Sie ihm wirklich nichts zu sagen hatten. War er noch mal bei Ihnen?«
    »Ja. Den hab ich doch gerade zerstückelt, als der Schredder verreckt ist.«
    »Ich will doch nur herauskriegen, wo er war, seinen Zeitplan ausarbeiten. Er ist wahrscheinlich seit Donnerstag verschwunden. Wenn er meinetwegen Freitag hier war, wäre das schon ein Anfang.«
    »War er aber nicht. Ich hab nichts von ihm gehört, seit er letztes Jahr hier war, und ich hab keine Ahnung, woher er die Adresse hatte oder warum er meinte, ich könnte ihm helfen.«
    Ingrams schaute wieder in den Rückspiegel. Jasmine sah sich nicht um. Der Audi hatte sie nicht überholt, also war er wohl immer noch da. Die Straße war anscheinend selbst für einen halbstarken Raser zu hügelig und verschlungen. Er hatte wohl vergessen, die Fenster herunterzulassen und die Dance Music aufzudrehen.
    »Das ist ja der Witz«, sagte sie. »Normalerweise könnte ich Ihnen das alles erklären: Wie die Spur mich zu Ihnen geführt hat, welche Quelle mir Ihren Namen gegeben hat, wie Sie in die gesamte Ermittlung passen. Dann könnte ich Ihnen Fragen stellen, die auf dem aufbauen, weswegen Jim … mein Chef sich für Sie interessierte. Aber nichts davon steht in der Akte. Er nimmt es normalerweise extrem genau mit solchen Sachen, aber da fehlt alles. Also hat entweder jemandalle anderen Dokumente aus der Akte genommen, oder Sie, Mr   Sackgasse, waren der Anfang und das Ende einer völlig erfolglosen Ermittlung. Was uns wieder zu der Frage bringt, warum … mein Chef sich den Ordner wieder vorgeknöpft hat.«
    Jasmine fluchte innerlich und hoffte, dass Ingrams die Bedeutung ihres Versprechers nicht bemerkt hatte und am besten auch nicht ihren Gesichtsausdruck. Aus irgendeinem Grund wollte sie auf keinen Fall zugeben, dass Jim ihr Onkel war. Vielleicht wollte sie einfach nicht zu viel von sich preisgeben, bevor sie nicht mehr über Ingrams wusste, aber er sollte auch nicht in seinem Eindruck bestärkt werden, sie hätte den Job nur aus Vetternwirtschaft bekommen. Dann wurde ihr aber verspätet klar, dass es keinen Grund gab, so zurückhaltend zu sein, und dass sie sich womöglich gerade dadurch verraten hatte, dass sie Jims Namen verschweigen wollte.
    »Keine Ahnung«, erwiderte Ingrams. »Und überhaupt – wenn in dem Ordner so wenig stand, aus welchem Grund sind Sie sich dann so sicher, dass gerade der etwas mit dem Verschwinden Ihres Chefs zu tun hat?«
    Einen schrecklichen Augenblick lang hatte Jasmine Angst, sie würde anfangen zu weinen. Es kam ihr vor, als würde Ingrams ihre Arbeit nicht behindern, sondern ihr nur erklären, was sie für einen Unsinn machte.
    »Aus keinem besonderen«, gab sie zu. »Ich suche nur nach Hinweisen und lote die Möglichkeiten aus. Ich mache mir Sorgen …«
    Sie hatte »um ihn« hinzufügen wollen, hielt sich aber wieder zurück, um nicht zu verraten, wie nah sie Jim stand. Zum Glück konnte sie ein anderes plausibles Motiv vorschieben.
    »Ende der Woche müsste ich mein Gehalt kriegen. Wenn ich ihn nicht finde, werd ich nicht bezahlt.«
    »Mist«, sagte Ingrams. »Das ist ja mal eine leistungsbezogene Bezahlung. Immerhin erklärt das, warum jemand wie Sie so was macht.«
    »Was soll das heißen, jemand wie ich? Eine Frau?«
    »Jemand in Ihrem Alter, meine ich. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ›abgebrüht‹ sieht anders aus. Was machen Sie denn normalerweise? Sind Sie seine Sekretärin?«
    Während er sprach, bremsten sie an einer weiteren Kreuzung, und Ingrams sah nach links und rechts. Als er an ihr vorbeischaute, merkte sie an seinem Gesichtsausdruck, dass er weder frech noch herablassend sein wollte. Er stellte ihr ehrliche Fragen, sein Gesicht verriet Aufrichtigkeit und sogar ein bisschen Mitgefühl. Das machte alles nur schlimmer.
    Sie merkte wieder, wie sie rot wurde, weil sie

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