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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Brookmyre
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genau. Irgendwann nahm die Presseaufmerksamkeit aber ab und das Ganze wurde Geschichte.«
    Jasmine ging den Inhalt der Box durch und gab die Artikel an Ingrams weiter. Einige davon stammten aus den Neunzigern, bis ins neue Jahrhundert hinein, mal kleinere Artikel, mal ganzseitige Features. In einer Klarsichthülle lag eine gefaltete Doppelseite von 2003. Der Beitrag enthielt ein Familienfoto von Anne mit ihren Eltern, dem eine winzige Porträtaufnahme des Babys beigefügt war. Daneben befanden sich computergenerierte Bilder, wie die drei heute aussehen konnten. Diese neue technische Möglichkeit war der Aufhänger dafür, die alte Geschichte noch mal aufzuwärmen.
    Über einem Kasten an der Seite war ein Foto von Anne abgedruckt, die Tage vor dem Verschwinden im Garten spielte,weil darauf auch der brandneue Audi 80 neben dem Haus zu sehen war. In das Bild eingesetzt war ein aktuelles Porträt von William Bain, der letzten Person, die die Ramsays vor ihrem Verschwinden gesehen hatte. Dabei standen auch ein paar Aussagen von ihm, aber verständlicherweise hatte er 2003 auch nicht mehr zu sagen als zwanzig Jahre vorher. Für ihn war es nur eine zufällige Begegnung gewesen, deren Bedeutung sich erst hinterher erschlossen hatte.
    »Ab und zu kommt irgendwas heraus, was der Presse einen Grund gibt, das Ganze noch mal durchzukauen«, sagte Neil. »In den ersten Jahren gab es oft angebliche Sichtungen, meistens im Ausland. Irgendein Urlauber in Griechenland oder sonstwo sieht einen kleinen Jungen im ungefähr richtigen Alter mit einem Paar, das Annes Eltern einigermaßen ähnelt. Im Sommerloch sind die Zeitungsleute froh, wenn sie auf ein paar Seiten noch mal alles nacherzählen und ein Feature draus machen können. Über den Schmerz, den so was auslöst, machen die sich keine Gedanken.«
    Ingrams studierte zwei dieser »Ramsay-Verschwinden neu aufgerollt«-Features: dieselben wenigen Fakten heruntergebetet, dieselben Fotos abgedruckt, zehn Jahre dazwischen, aber sonst genau die gleichen Artikel. Das Einzige, was sich geändert hatte, war das Zeugenporträt: Bain war älter und grauer und bekam seine fünfzehn Minuten Ruhm wohl in Raten über siebenundzwanzig Jahre ausbezahlt.
    Der jüngste Artikel war von vor ein paar Wochen, ein halbseitiges Feature aus dem Daily Record berichtete davon, dass ein Privatdetektiv angeheuert worden war, um den Fall zu untersuchen. Es gab ein paar allgemeine Aussagen von Jim, sogar ein, zwei von Neil, aber keine von Anne. Überhaupt hatte Anne nie einen Kommentar abgegeben.
    »Über die Jahre wurde ihr eine Menge Geld für ein Interview angeboten, aber sie will sich das nicht antun. Jedes Jahr ungefähr zur selben Zeit kommt wieder etwas. Jim war selbstauf die Idee gekommen, denen von seiner Ermittlung zu erzählen. Er meinte, die würden uns in Ruhe lassen, wenn sie einen neuen Ansatz hatten, und da hatte er wohl recht.«
    »Was ist dann aus Anne geworden?«, fragte Jasmine. »Nachdem sie verschwunden waren.«
    »Sie ist bei ihren Großeltern aufgewachsen.«
    »Das muss schlimm gewesen sein. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie man in dem Alter mit so etwas fertig werden soll.«
    Neil nickte kurz und schaute weg. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und schien sich innerlich zurückzuziehen und die beiden mit der Box alleine zu lassen.
    Jasmine griff in die Tasche.
    »Oh, mein Handy«, sagte sie zu Ingrams. Sie hielt das Gerät so, dass Neil nicht sehen konnte, dass sie auf ein schwarzes Display starrte. Ingrams dagegen sah es und warf ihr einen fragenden Blick zu. Sie hielt sich das Handy ans Ohr und erklärte kurz niemandem, dass sie gerade nicht konnte, und ein Kollege zurückrufen werde.
    »Tron, das war Caroline von Galt Linklater wegen dem Turner-Fall. Kannst du sie mal eben zurückrufen? Die Akte liegt im Wagen.«
    Ingrams willigte ein und stand auf. Er hielt immer noch einen Packen Klarsichthüllen mit Zeitungsausschnitten in der Hand.
    »Kann ich die eben mitnehmen?«, fragte er.
    Neil nickte abwesend. Ingrams hätte auch dieselbe Reaktion bekommen, wenn er sich die Mikrowelle hätte ausleihen wollen.
    Bevor Ingrams die Küche verließ, bedeutete er Jasmine mit einem Blick, dass sie ihm hinterher alles erklären musste.
    Die Erklärung war einfach. Neil hatte dichtgemacht, weil sich das Gespräch Themen genähert hatte, über die Männer nicht vor anderen Männern sprechen.

    »Wie lange sind Sie schon verheiratet?«, fragte Jasmine, als Ingrams gegangen war.
    »Sechs

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