Wer schlafende Hunde weckt
Jahre«, antwortete er neutral. Dann lächelte er, als hätte er bemerkt, dass er sich durch seinen Ton verraten hatte.
»Nicht immer einfach, oder?«, fragte Jasmine.
»Was soll das heißen?«, erwiderte er gereizt, bereit jeden angeblichen Makel seiner Ehe nachdrücklich zu dementieren.
»Nichts. Ich war nur mal mit einem zusammen, dessen Eltern gestorben waren, als er zehn war. Autounfall. Was das bei ihm angerichtet hat. Zehn Jahre . Er muss schrecklich einsam gewesen sein. Die Schwester seiner Mutter hat ihn aufgenommen. Ich mochte ihn wirklich, aber er hat mich nie so richtig an sich herangelassen, wissen Sie? Man macht immer Witze, dass kein Mann sich festlegen will, aber bei ihm war es wirklich so. Es lag nicht an mir. Niemand durfte ihm zu nahekommen, dann konnte er auch niemanden verlieren.«
Jasmine sah, wie sich Neils Züge lockerten, wie sein Misstrauen schwand und er sich auf das Gespräch einließ, weil er erkannt hatte, dass sie von etwas redete, was er genau verstand. Sie war stolz auf ihr Schauspiel- und Improvisationstalent, denn sie hatte sich natürlich alles nur ausgedacht.
»Genau wie Anne«, sagte er leise mit einem bittersüßen Lächeln. »Nur bei ihr war’s zehnmal so schlimm. Bei ihr waren es nämlich nicht nur die normalen Verlustängste von Waisen, weil es nicht bloß um etwas ging, was ihren Eltern zugestoßen war. Bei ihr ging es um etwas, was ihre Eltern ihr angetan hatten. Sie waren zuletzt auf der M74 nach Süden gesehen worden. Wo wollten sie hin? Und vor allem: Warum haben sie sie nicht mitgenommen? Ziemlich genau zu der Zeit sollten sie sie doch abholen, und zwar auf der anderen Seite der Stadt. Man muss sich mal vorstellen, wie es ist, mit solchen offenen Fragen zu leben.«
»Sie mussten wohl ziemlich hartnäckig sein. Ich nehme an, sie hat Sie ein paarmal abgewiesen.«
Er lachte kurz trocken auf.
»Sagen wir mal, ich war wohl der nervöseste Bräutigam der Welt. Ich weiß noch, wie ich damals gedacht hab: Warum redet der Standesbeamte so langsam? Mach jetzt und gib uns deine Unterschrift, bevor sie es sich anders überlegt.«
Jasmine lächelte verständnisvoll.
»Wir haben uns an der Uni kennengelernt. Sie war an der University of Glasgow und ich an der University of Strathclyde, und wir hatten gemeinsame Freunde. Wir waren gut sechs Monate zusammen, dann hat sie sich im Sommer von mir getrennt. Na ja, genau genommen hab ich gesagt, so, dann lassen wir’s lieber, aber sie hat es auf jeden Fall eingefädelt: Sie hat mich immer schlechter behandelt, bis ich genug hatte. Zwei Jahre später sind wir dann wieder zusammengekommen. In der Zwischenzeit war sie mit ein paar anderen Typen zusammen gewesen, von denen ich einen ein bisschen kannte. Er hat mir eine vertraute Geschichte erzählt. Als mir dann wieder das Gleiche passiert ist, hab ich sie darauf angesprochen.«
»Mutig.«
»Verzweifelt. Ich war total in sie verknallt. Bin ich immer noch. Eine Zeit lang stand unsere Beziehung auf der Kippe, ich wusste nicht, ob ich sie gerettet oder umgebracht hatte. Ich hatte sie wohl gerade eben gerettet. Anne gestand sich ein, was los war. Sie sagte, es hilft ihr, wenn sie darüber redet; dummerweise kann sie immer erst hinterher darüber reden.«
»Sie kann sich in dem Moment nicht eingestehen, warum sie es macht?«
»Genau. Sie ist fies zu mir, weil ein Teil von ihr glaubt, dass ich sie sowieso verlasse, und sie kurzen Prozess machen will, während ein anderer Teil von ihr sich versichern will, dass ich sie niemals verlasse, egal wie fies sie ist.«
»Das bringt bestimmt keinen Spaß.«
»Im Laufe der Jahre habe ich viele der Auslöser erkannt,aber manchmal überrumpeln sie einen. Aber für Anne ist alles noch viel schlimmer, also will ich mich nicht allzu sehr bemitleiden.«
»Was hat es diesmal ausgelöst?«
Neil hielt inne, starrte Jasmine einen Augenblick durchdringend an und überlegte wohl kurz, ob er bestreiten sollte, dass sie sich gerade in so einer Situation befanden.
»Es fing ganz langsam an. Wir wussten beide, dass es kam, aber das ist auch kein Allheilmittel. Als Megan im April vier wurde, ging es wohl los. Anne war damals in dem Alter. Dass es schwierig würde, wenn Megan zur Schule kam, war sowieso klar. Das soll eigentlich für Eltern ein wichtiger Meilenstein sein, aber insgeheim hatten wir beide eine Riesenangst davor. Wir haben uns aber darüber unterhalten und uns einen Plan einfallen lassen.«
»Und da kam Jim Sharp ins
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