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Wer schön sein will, muss sterben

Wer schön sein will, muss sterben

Titel: Wer schön sein will, muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Jaffe
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viel Zeit im Badezimmer verschwendet.«
    »Ich bin gerade erst gekommen.« Er schob mich heraus und drehte mich herum, so dass wir uns ansahen. Er ließ die Finger auf meinem Arm und holte tief Luft. »Du siehst toll aus.«
    »Für ein Mädchen, das überfahren wurde.« Er schien immer in mich hineinzusehen, durch mich hindurchzusehen. Ich fragte mich, ob er überhaupt sah, wie schlecht ich aussah.
    »Für jeden. Sogar für jemanden, die nicht ihr Lieblingsshampoo benutzen kann und die nicht in mich verliebt ist.«
    »Hör auf!«, beharrte ich. »Es war nur …«
    »Nichts«, beendete er den Satz für mich. »Ich weiß.« Er langte herüber und steckte ein paar Haare hinter mein rechtes Ohr. »Tut mir leid, dass ich gestern nicht herkommen konnte. Ich musste arbeiten«, erklärte er. Scott war das älteste von vier Kindern, die von ihrer Großmutter großgezogen wurden. Sie war Arzthelferin. Die Bezahlung war okay, aber nicht gut genug, um den Unterhalt der Familie zu bestreiten. Deshalb half Scott, indem er eine Menge verschiedener Jobs annahm. Er beklagte sich nie, aber ich wusste, er würde lieber Fotos machen.
    »Du hast nichts verpasst. Hier passiert nicht viel. Die Maschinen machen die ganze Arbeit.«
    »Wenn du meinst. Deine Mutter schien jedenfalls beschäftigt, als ich sie draußen auf dem Flur sah.« Scott setzte sich in einen der blauen Sessel und zog mich zu sich heran. Er zupfte ein Haar von meinem Knie. »Sie war von einem Haufen Leute umgeben, die darüber diskutieren, wie man dich am schnellsten wieder auf die Beine kriegt.«
    »Das ist wohl eher eine Einmischung. Hältst du mich für verrückt?«
    Er runzelte die Stirn und schwieg.
    Das war nicht gut. »Du musst darüber nachdenken?«
    Er grinste. »Nein, ich tu nur so. Nein, du bist nicht verrückt, warum?«
    Ich erzählte ihm von dem Telefonanruf und dass alle dachten, ich hätte ihn erfunden. Oder zumindest, dass ich ihn zu ernst nahm, dass es einfach nur ein Scherz war.
    »Ich kann nachvollziehen, dass sie meinen, es sei ein Scherz.«
    »Warum?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ok, J. J. Du holst mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Du hast recht, ich habe keinen Grund, sicher zu sein. Aber ich will es glauben, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand dir wehtun will. Ich vermute, dass das für jeden gilt.«
    Als die Schule vor neun Monaten wieder begann, redeten Scott und ich jeden Tag miteinander, manchmal mehr als einmal. Er rief fünf- oder sechsmal an, schickte eine Menge SMS . Aber in letzter Zeit hatten wir uns nicht so nahegestanden, und mir wurde bewusst, dass ich es vermisst hatte.
    Ich langte hinüber und nahm seine Hand. »Danke.«
    Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Ich will dich nicht beleidigen, aber ich halte nicht viel von der Einrichtung hier. Zum Glück habe ich eine Idee, wie wir sie etwas aufpeppen können.«
    Ohne meine Hand loszulassen, griff er nach unten und ich hörte, wie er in seiner Umhängetasche kramte, die er neben dem Stuhl abgestellt hatte.
    Als er wieder hochkam, hielt er eine Schneekugel mit der Freiheitsstatue in der Hand. »Es ist noch besser, als es aussieht. Guck mal …« Er ließ meine Hand los, um sie irgendwo am Boden aufzuziehen, und sie begann ›New York, New York‹ zu spielen. »Und man kann es nicht abstellen. Gefällt es dir?«
    »Ja.« Ich hielt sie hoch und sah ihn durch sie hindurch an. »Sie gefällt mir.«
    »Du musst gesund werden, damit wir wieder so einen Tag verbringen können.«

    An dem Wochenende nach meinem ersten Date mit David, einem kühlen Samstag im Oktober, waren Scott und ich zu einer »Wolkentour«, wie er es nannte, nach New York aufgebrochen. Dem lag die Erfahrung zugrunde, dass einige Menschen Gesichter in Wolken sehen und andere Wolken in Gesichtern, dass also die Wahrnehmung der Menschen bedingt, wie und was sie sehen. Er hatte die Idee, dass wir einen Tag in New York verbringen und Fotos von denselben Dingen machen sollten. Wenn wir sie verglichen, würden wir etwas über unseren individuellen Stil erfahren.
    »Sollen wir einen Stadtplan kaufen?«, fragte ich, als wir in Penn Station aus dem Zug stiegen.
    »Wir brauchen keinen.«
    »Aber wenn wir uns verlaufen?«
    Scott lachte. »So etwas wie Verlaufen gibt es nicht; du musst nur deine Wahrnehmung ändern.«
    »Ich kaufe einen Stadtplan.«
    »Wie du willst.«
    Als wir aus dem Zug stiegen, war die Luft frisch, mit dem süßen Beigeschmack eines reifen Apfels, und wir machten uns erst mal ohne

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