Wer schön sein will, muss sterben
Stadtplan auf den Weg zum Metropolitan Museum of Art. Im Central Park begannen sich die Blätter an den Bäumen zu verfärben, und wir wirbelten die, die bereits am Boden lagen, mit den Füßen auf.
Drinnen im Museum verirrten wir uns auf dem Weg zur Fotosammlung in einer Reihe von Räumen mit mittelalterlichen Altargemälden. Heilige, Maria und die Engel, alle knieten vor lapislazuliblauem oder rötlich-goldenem Hintergrund und blickten zu Jesus auf, der stolz in der Mitte stand. Das brachte uns zu einer Diskussion darüber, was es für einen Künstler bedeutet, wenn er mit einem echten Kultgegenstand arbeitet. Und ich begann zu verstehen, was Scott damit meinte, dass man sich nie verirrt.
Nach dem Museumsbesuch gingen wir Richtung Downtown, ohne einen Plan, ließen unsere Füße und die Ampeln bestimmen, wohin wir gingen. Wir aßen geröstete Nüsse von einem Stand in der Fifth Avenue. Wir machten Selbstporträts in den Fenstern von Tiffany’s und Barneys. Wir fotografierten Gullydeckel, einzelne Blumen in Kübeln und einen Hund, der neben einem Schild angebunden war, auf dem stand
Ich arbeite für Essen
. Ich holte nicht ein einziges Mal die Karte heraus.
Beim Union Square, sagte Scott: »Achte auf die da«, und wies auf einen schwarz-rot-weißen Aufkleber, auf dem das Gesicht eines Mannes abgebildet war, der sehr streng blickte. Darunter stand:
Regeln einhalten.
»Sie sind in der ganzen Stadt verteilt, wie eine Underground-Art-Show.«
»Wer hat sie angebracht?«
»Jeder, der will. Die Idee ist, dass die Menschen darüber nachdenken, wie oft sie gehorchen, wie viele Regeln sie im Alltag befolgen.«
»Aber die Regeln sorgen dafür, dass die Zivilisation funktioniert. Ohne Regeln würden wir uns alle gegenseitig töten.«
»Das sollst du denken. Aber in Europa haben sie Studien veröffentlicht, die zeigen, dass die Leute an Orten mit weniger Verkehrsschildern besser Auto fahren. Weil sie mehr aufeinander achten.«
»Ich weiß ja nicht … Ich hab das Gefühl, dass man sowieso schon viel zu viel Zeit damit verbringt, über andere nachzudenken.«
»Du denkst darüber nach, was sie von dir denken. Das ist was anderes.«
»Denkst du, ich bin egozentrisch?«
»Da hast du es.«
Für unsere letzte Fotoreihe hielten wir an einem Stand in der Canal Street, wo wir uns jeder eine Schneekugel mit dem größten Kultgegenstand New Yorks kauften, den wir uns vorstellen konnten, die Freiheitsstatue. Wir machten uns jeder allein auf den Weg, um Fotos davon zu machen und vereinbarten, uns eine halbe Stunde später in einem Restaurant in Chinatown, das Scott kannte, wieder zu treffen.
Ich muss gestehen, dass ich sehr selbstzufrieden war, als ich beim Restaurant ankam.
Ich hatte die Schneekugel neben eines der
Regeln einhalten-
Aufkleber gestellt, vor dem ein Obdachloser stand, der eine Zigarette rauchte. Die Freiheitsstatue auf der einen Seite und die Aufforderung
Regeln einhalten
auf der anderen bildeten so etwas wie einen Rahmen für das Porträt des Obdachlosen. Ich nannte es ›Modernes Triptychon‹, in Anlehnung an die Altarbilder, die wir morgens im Met gesehen hatten. Ich war richtig stolz auf mein Bild.
Aber Scott hat es mir wieder mal gezeigt. Er hatte die Schneekugel aufgebrochen und jedes Teil einzeln fotografiert. Die Statue, die Schaumstoffkügelchen, die Schnee sein sollten, die Spieluhr, den schwarzen, geformten Boden, die leere Plastikkuppel, das Schild, auf dem
Freiheit
stand. Er nannte es ›Meine Herrin beim Bad oder Enthüllter Patriotismus‹.
Bei Ente, starkem heißen Tee und Wasser erzählte Scott mir, dass er das Restaurant mit dem Namen ›Noodletown‹ zu der Zeit entdeckt hatte, als er seinen Vater während der Anklageerhebung im Gericht regelmäßig besucht hatte. Obwohl beide, Scott und Langley, bei ihren Großeltern lebten, waren sie sehr verschieden. Aber sie hatten beide einen harten Kern, das, was dich zu einem Überlebenskünstler macht. Und zu einem guten Beobachter.
»Irgendetwas beunruhigt dich.«
»Hast du von dem Praktikum bei Getty Images gehört?« Ich drehte das Papier meines Strohhalms zu einem Wurm.
»Ja. Ich würde echt alles tun, um mich bewerben zu können, aber ich muss arbeiten. Du solltest es machen. Wenn ich nicht im Rennen bin, wirst du bestimmt gewinnen.« Er zwinkerte.
»Bescheidenheit steht dir besser.«
»Komm schon, ich hab’s dir beim letzten Foto echt gezeigt.«
»Vielleicht. Denkst du wirklich, dass ich mich bewerben soll?«
»Was ich denke, ist
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