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Wer schön sein will, muss sterben

Wer schön sein will, muss sterben

Titel: Wer schön sein will, muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Jaffe
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Paranoia macht mir Sorgen«, sagte sie zu Joe, als wäre ich nicht da. »Vielleicht sollten wir noch einmal mit Dr. Tan reden.«
    »Ich kann ihn anrufen, wenn du willst«, bot Joe an.
    Meine Hände ballten sich zu Fäusten. »Ja, wir sollten lieber jemanden holen, der euch sagt, was ihr hören wollt, statt darauf zu hören, was ich sage.« Ich spürte die Tränen kommen. Ich hatte genug, genug davon, dass mir keiner glaubte, dass ich mich nicht erinnerte. Dass ich an mir selbst zweifelte. »Warum hört ihr mir nicht zu?«, fragte ich. »Warum glaubt ihr nicht an mich? Ich meine, warum glaubt ihr mir nicht?«
    Meine Mutter ignorierte meine Korrektur. »Natürlich glauben wir an dich, Jane.« Sie kam herüber und stellte sich neben mich. »Ich weiß, du kannst alles schaffen, was du willst. Du bist mein kluges, hübsches Mädchen.«
    Einen Moment lang, den Bruchteil einer Sekunde, kam es mir vor, als wäre meine Mom wieder bei mir – die, die Pflaster auf meine Wunden geklebt und versprochen hatte, alles würde gut werden. Ich blickte auf und sah sie so wie am ersten Kindergartentag, so wie an dem Tag, als Amerigo starb und wir ihn begraben haben, das Gesicht voller Liebe und Sorge und Anteilnahme. Die Mom, neben der ich zusammengerollt in der alten Hängematte unter dem Baum im Garten liegen durfte, während sie las, leicht hin und her schaukelnd, bis sie einschlief und ihre Brille zwischen uns rutschte. Wir hatten die Hängematte immer noch, aber sie wurde nicht mehr draußen aufgehängt. Keiner hatte dafür Zeit.
    Jetzt blickte ich sie an und flüsterte: »Ich habe Angst, Mom. Nichts stimmt mehr. Ich habe Angst vor den Dingen, an die ich mich nicht erinnere, Angst vor denen, an die ich mich erinnern werde. Ich habe das Gefühl, dass mir alle ausweichen.«
    Und wie die Mom meiner Erinnerung sagte sie: »Ich weiß, Liebling.« Sie legte ihre Hand auf meine und drückte sie. Es war ein wunderbares Gefühl. »Ich weiß, dass es schwer ist.« Wir verharrten eine Weile so, und ich spürte, wie ich immer ruhiger wurde, mir immer leichter wurde, wie schon lange nicht mehr. Ich musste das hier nicht alleine durchstehen. Sie war hier bei mir. Auf meiner Seite. Was immer es war, wir würden dem zusammen entgegentreten.
    »Und deshalb sollten wir Dr. Tan herholen, um dir zu helfen. Damit du unterscheiden kannst, was real ist und was nicht. Und dann wirst du wieder die Alte sein.«
    Sie zog die Hand weg, um nach dem Telefon zu greifen, und es kam mir vor, als wäre ein Gewicht auf meine Brust gefallen. Meine Augen wanderten zu meiner leeren Hand.
    Ich brauche Dr. Tan nicht, ich brauche dich
, wollte ich sagen.
    Stattdessen sagte ich: »Du musst ihn nicht anrufen, mir geht’s gut.«
    »Es wird dir gutgehen.« Sie wählte von meinem Telefon aus seine Nummer. An ihrem Tonfall erkannte ich, dass sie nur seinen Anrufbeantworter erreicht hatte. »Dr. Tan, Rosalind Freeman hier. Ich hatte gehofft, Sie könnten herkommen und sich noch einmal mit meiner Tochter unterhalten. Sie ist heute Morgen etwas aufgeregt, und ich glaube, ein Gespräch mit Ihnen würde sie aufmuntern.« Sie lächelte mich an, während sie sprach.
    Ja, das war es, was ich brauchte. Aufmunterung. Denn traurig zu sein, etwas zu empfinden, war eine Art Sünde.
    Sie legte mit einem Seufzer der Erleichterung auf. So klang es zumindest. »So, jetzt arbeiten die Experten daran.«
    Sie hatte gerade aufgelegt, als Annie ins Zimmer gesaust kam. »Jane, guck mal.« Sie rannte zu meinem Bett, hielt die Porzellanpuppe hoch und schwenkte sie wie eine Trophäe. »Loretta und ich haben sie heil gemacht.« Die Puppe hatte jetzt ein schmales Pflaster um den Kopf, das die beiden Hälften zusammenhielt, und einen Riss quer über den Schädel. »Sie sieht dir jetzt sogar noch ähnlicher.«
    »Toll. Das macht sie nicht weniger unheimlich.«
    »Jane«, sagte meine Mutter warnend. Sie wandte sich an Annie. »Das ist lieb von dir, Liebling.«
    »Sie heißt Robert«, verkündete Annie und strahlte stolz übers ganze Gesicht.
    »Robert?«, fragte ich. »Sie sieht für mich nicht gerade wie ein Robert aus. Bist du sicher?«
    Ich musste plötzlich lachen, mir wurde bewusst, wie sehr mir Annie gestern gefehlt hatte.
    »Wie war’s gestern mit Dora?«
    »Es war lustig. Wir haben Familienurlaub gespielt. Dora spielt es anders als ich.«
    »Wie spielst du es?«
    »Bei mir steigt die Familie in einen Kombi und fährt los, um sich das größte Wollknäuel der Welt anzusehen. Der Dad liest laut vor,

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