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Wer Schuld War

Titel: Wer Schuld War Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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Paul, denn sie hat das Gefühl, Paul die Wahrheit immer noch schuldig zu sein. Andererseits ist sie
     auch Mutter, und eine Mutter ist in erster Linie den Lebenden verpflichtet, nicht den Toten, und so nimmt sie ihr Telefon
     vom Badewannenrand und versucht, wie schon so oft in den letzten Tagen, Philipps zu erreichen. Aber wieder läuft nur die Mailbox
     mit Philipps krächziger Stimme, was sie erneut in Wut bringt.
    »Bin beschäftigt, hinterlasst ’ne Nachricht«, sie kann diesen Spruch nicht mehr hören, er ist eine Beleidigung für ihre Intelligenz,
     hört sich in ihren Ohren an wie eine ständigwiederholte Abfuhr, die sie nicht verdient. Sie verdient einen Sohn, der schätzt, was sie täglich leistet, der sie liebt,
     wie man seine Mutter liebt. Nicht diesen mürrischen abweisenden Kerl, der sie behandelt, als spiele sie in seinem Leben keine
     Rolle mehr. Philipp hat an diesem Tag seine Hausaufgaben mehr oder weniger gründlich erledigt, danach aber sofort die Wohnung
     verlassen, angeblich um mit einem Freund für die Englisch-Schulaufgabe in drei Tagen zu lernen. Bei diesem Freund ist er nicht,
     und er ist auch nicht, wie versprochen, um halb acht zurückgekommen, denn halb acht ist jetzt.
    Sie ruft bei Simon an, obwohl sie sich geschworen hat, das nicht mehr so oft zu tun, denn Simon hat Philipp zwar adoptiert,
     als er ein Jahr alt war, und er hat sich immer gefühlt und benommen wie ein leiblicher Vater, auch als Pilar und er kein Ehepaar
     mehr waren, aber in letzter Zeit ist alles anders geworden. Seitdem diese Alexa bei ihm wohnt, findet er alle möglichen Ausreden,
     um seinen Sohn nicht sehen zu müssen, lehnt vor allem Besuche aus den fadenscheinigsten Gründen ab. Aber Philipp braucht beide
     Eltern und sehnt sich gerade jetzt nach Halt und Unterstützung, nach einer Hand, die ihn führt und leitet. Daran glaubt Pilar
     ganz fest, auch wenn Simon in dieser Hinsicht schon immer ein Versager war, ihr nie eine unbequeme Entscheidung abgenommen,
     sich aus allem herausgehalten hat, was in Stress hätte ausarten können, und gerade deshalb natürlich von Philipp heiß geliebt
     wurde. Eine dieser Ungerechtigkeiten, die Pilar schon viele Jahre zu schaffen machen, aber gegen die sich absolut nichts unternehmen
     lässt, wie sie aus bitterer Erfahrung weiß. Schon senkt sich die Schwermut wie ein stickiger Nebel über sie, muss sie sich
     zusammennehmen, um genug Luft zu bekommen und nicht innerlich zu erstarren.
    »Ich bin’s«, sagt sie in den Hörer, als Simon sich mit seinemNamen meldet, auf diese muntere Simon-Art, die sie immer als Affront empfindet, aber dann stellt sie zu ihrer Befriedigung
     fest, dass er diesmal gar nicht so locker ist, wie er tut. Sein »Oh, hallo, Pilar. Wie geht’s dir, was ist los?«, klingt reichlich
     angespannt, woraus sie schließt, dass Alexa in unmittelbarer Nähe ist, vielleicht sogar mithört. »Alles in Ordnung«, sagt
     Pilar deshalb unwillkürlich rücksichtsvoll, wie sie nun einmal ist, obwohl ja überhaupt nichts in Ordnung ist, und es außerdem
     keinen Grund gibt, Simon beruhigen zu wollen, denn was interessiert sie sich für seine Probleme, sie hat schließlich genug
     eigene zu bewältigen. »Ich wollte nur wissen, ob Philipp bei dir ist.«
    »Nein«, antwortet Simon knapp, und jetzt ist klar, Alexa
hört
mit und hat etwas gegen dieses Gespräch, aber das ist Pilar nun so etwas von egal, dass sie einfach beharrlich schweigt, bis
     Simon so hörbar widerwillig ein »Wieso?« anfügt, dass sie beinahe grinsen muss. Stattdessen sagt sie: »Er wollte um halb acht
     nach Hause kommen, und ich kann ihn auf seinem Handy nicht erreichen.« Und in derselben Sekunde merkt sie, wie überbesorgt,
     um nicht zu sagen, lächerlich sich das anhört, weshalb sie Simons Kommentar »Halb acht? Das ist ja gerade mal fünf Minuten
     her« verdient und verärgert sein leises, plötzlich ganz unbeschwertes Lachen hört, weil Alexa offenbar das Zimmer verlassen
     oder sich in ihren iPod eingestöpselt hat.
    »Also bei dir ist er nicht.«
    »Mach dir keine Sorgen.«
    »Wann war er eigentlich das letzte Mal bei dir?«
    »Warum?«
    »Kannst du dich nicht mehr erinnern?«
    »Pilar. Wenn du etwas zu sagen hast, sag es.«
    »Ich habe dir eine einfache Frage gestellt.«
    »Du hast mir etwas vorgeworfen.«
    »Wenn du das so siehst, wird es wohl stimmen.«
    »Also dann heraus damit.«
    »Du siehst Philipp überhaupt nicht mehr.«
    »Das hatten wir doch schon, Pilar. Philipp ist jetzt

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