Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses
lediglich festgestellt, dass es ohne Zweifel in Fletchers Absicht lag.«
Tante Parry blickte womöglich noch unbehaglicher drein, und Frank sah aus, als würde er gleich explodieren.
»Niemand kann von meiner Tante erwarten, dass sie die Gedanken dieses Halunken liest!«, giftete er.
»Nein, Mr Carterton, selbstverständlich nicht.«
»Ich wusste jedenfalls nicht, dass er immer noch zu Besuch kam«, fuhr Frank fort, indem er sich an seine Tante wandte.
»Nun ja, Frank, mein lieber Neffe …«, begann Tante Parry.
Dr. Tibbett räusperte sich warnend.
Frank errötete und sagte steif: »Ich versuche lediglich, den guten Ruf meiner Tante zu verteidigen.«
»Hat er gestanden?«, verlangte Mrs Belling zu erfahren und beendete damit die Peinlichkeit eines aufkommenden Familiendisputs vor Zeugen.
Sie hatte sich länger aus der Konversation zurückgehalten als für gewöhnlich und war in dieser Zeit sichtlich nervös geworden. Ihre wachen Augen funkelten mit einem beinahe hungrigen Ausdruck darin. Mir wurde bewusst, dass es keinen Unterschied gab zwischen ihr und jenen unverhohlen neugierigen Gaffern, die an der Stelle aufgetaucht waren, wo der Leichnam von Madeleine Hexham gefunden worden war, oder die am Dorset Square vor Tante Parrys Haus auf und ab spaziert waren. Ich hatte sie noch nie gemocht, doch jetzt bemerkte ich, dass sie eine widerwärtige Person war. Ich hoffte sehr, dass Frank nie mit Mrs Belling als Schwiegermutter enden würde.
»Das hat er, Ma’am«, antwortete Ben Ross höflich. »Mr Fletcher scheint mit einem Mal recht begierig darauf zu sein, über alles zu reden, und er hat uns alles erzählt. Er hat alles verloren, und es gibt keinen Grund mehr für ihn, irgendetwas zu verbergen. Seine Verlobte hat die Verlobung gelöst, und ihr Vater hat darauf bestanden, dass die Midland Railway Company ihn entlässt. Selbst wenn er weiterhin seine Schuld abgestritten hätte – was unter den gegebenen Umständen schwierig gewesen wäre –, ist sein Ruf ruiniert. Seine Welt ist um ihn herum eingestürzt.«
»Genau wie die Welt der armen Madeleine, als er sie abgewiesen hat«, bemerkte ich.
Alle wandten sich zu mir.
»Ich habe meine Meinung über jene junge Frau nicht geändert!«, verkündete Dr. Tibbett.
»Nein, Sir, das dachte ich mir«, murmelte Ross.
»Böses zieht Böses nach sich!«, deklarierte Tibbett. »Die Sünde öffnet Tür und Tor für mehr von ihresgleichen. Ihr Mangel an Moral und ihre Doppelzüngigkeit waren der Anfang von alledem. Das vermag niemand zu bestreiten!«
»Sie wurde verführt und getäuscht«, widersprach James unerwartet und überraschend heftig. »Das war nicht ihre Schuld. Man könnte genauso gut sagen, weil sie so unschuldig war, konnte ein Mann wie Fletcher sie vom rechten Weg abbringen. Niemand kann sie für das verantwortlich machen, was er später getan hat!«
»Unsinn, James!«, unterbrach ihn seine Mutter. »Du weißt überhaupt nichts darüber. Halt den Mund!«
James öffnete den Mund, und für eine Sekunde glaubte ich, dass er ihr offen widersprechen würde. Selbst Frank schien überrascht und setzte sich kerzengerade auf in der Erwartung des Unfassbaren.
Doch es geschah nicht. James schloss den Mund wieder und verstummte.
»Wir sind Ihnen jedenfalls alle sehr dankbar, Inspector Ross«, erklärte Tante Parry unvermittelt und mit klarer, fester Stimme.
Ross fühlte, dass er entlassen war. Er erhob sich. »Ich freue mich, dass ich Ihnen zu Diensten sein konnte, Ma’am. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss gehen.«
»Ja, ja«, sagte Tibbett gereizt. »Sie haben Ihre Pflichten und alles, und wir dürfen Sie nicht länger aufhalten.«
An diesem Punkt konnte ich nicht länger schweigen. Diese Leute waren unerträglich. Ich erhob mich. »Nicht nötig, Simms zu rufen«, sagte ich laut. »Ich bringe den Inspector zur Tür.«
Ich will gar nicht erst versuchen, die Grimasse zu beschreiben, mit der Dr. Tibbett auf diese Ankündigung reagierte. Mrs Belling schaute missbilligend drein, und Frank brütete noch wütender als zuvor. »Ja, selbstverständlich«, murmelte Tante Parry und blickte mich nicht wenig nervös an.
Ich führte Ross schweigend nach unten in die Eingangshalle. Von Simms oder einem anderen der Dienstboten war nichts zu sehen. Die hohe Standuhr in der Ecke tickte leise vor sich hin. Staub tanzte in dem Sonnenstrahl, der durch das Oberlicht über der Haustür fiel. Ich erinnerte mich daran, wie ich hier mit meinem bescheidenen
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