Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses
müssen und war deswegen so schnell wieder nach oben gekommen, nachdem er Tibbett bis zur Haustür gebracht und dort an Simms übergeben hatte? Es war beunruhigend zu erfahren, dass die Erinnerung an Miss Hexham so starke Emotionen hervorrief. Sie war allem Anschein nach genauso dankbar in dieses Haus gekommen wie ich, weil man ihr die Position der Gesellschafterin angeboten hatte. Sie hatte ihr bescheidenes Gepäck unten in der Halle gelassen wie ich und war Simms die Treppe hinauf gefolgt, voller Fragen wegen ihrer Zukunft. War sie in diesem Haus nicht glücklich gewesen? Meine Arbeitgeberin machte einen sehr freundlichen Eindruck, doch Madeleine hatte sich ihr nicht anvertraut. Ich beschloss, Frank zu fragen, der, wie ich vermutete, einen Hang zum Schwatzen besaß, wenn er nicht gerade schmollte.
Wenigstens hatte die Abfolge der Ereignisse ein praktisches Resultat für mich gehabt. Wegen Madeleines plötzlichem Verschwinden hatte Mrs Parry unerwartet ohne Gesellschafterin dagestanden, und als sie von mir hörte, dass ich nach einer solchen Anstellung suchte, musste es ihr wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen sein. Deswegen war es natürlich nicht weniger freundlich von ihr, mich bei sich aufzunehmen. Andererseits nahm es mir ein wenig von der Bürde der Dankbarkeit. Ein fairer Tausch, von dem beide profitierten, war mehr nach meinem Geschmack.
Schließlich kehrten meine Gedanken zu Frank Carterton zurück, von dem ich einen gemischten Eindruck gewonnen hatte. Wenn er sich die Mühe gab, konnte er recht charmant und unterhaltsam sein. Und er war – wenigstens hin und wieder – zu Dummheiten aufgelegt.
Um die Dinge einen Schritt weiter zu bringen … Hatte Frank Recht mit seiner geflüsterten Vermutung, dass Dr. Tibbett meiner Arbeitgeberin den Hof machte? Ich konnte es mir durchaus vorstellen. Mrs Parry war eine attraktive und wohlhabende Witwe. Der geistliche Schulmeister genoss bei ihr hohes Ansehen, wie es schien. War das der Grund, warum Frank es kaum abwarten konnte, nach Russland zu gehen? Wollte er an dem Tag nicht mehr hier sein, an dem er ›Onkel‹ zu Dr. Tibbett würde sagen müssen?
Erleichtert legte ich die Haarbürste weg und erhob mich, um zu Bett zu gehen. Ich löschte die Kerze, und Dunkelheit fiel herab, doch sie war ganz anders als die nächtliche Dunkelheit, an die ich gewöhnt war. Meine Augen passten sich rasch an das Dämmerlicht an, und ich konnte deutlich die Schatten der verschiedenen Möbel voneinander unterscheiden, wenngleich keine Einzelheiten erkennen. Das Licht kam durch die Fenster von den Gaslaternen draußen, die in regelmäßigen Abständen um den Platz herum standen. Mrs Parrys Zimmer lag, so hatte ich gesehen, auf der anderen Seite des Hauses über dem kleinen privaten Fleck eines handtuchgroßen Gärtchens. Für mich, die Gesellschafterin, blieb nur der Lärm der Großstadt vom frühen Morgen an und ein Ausblick auf Gras und Bäume in der Mitte des Platzes, der vom frühen Morgen an von kommenden und gehenden Fuhrwerken und Fußgängern verdeckt sein würde. Ich zog den Vorhang ein wenig beiseite und spähte hinaus und nach unten. Im Augenblick lag der Platz verlassen, und das gelbliche Leuchten der Gaslaternen glänzte auf den Pflastersteinen. Dann vernahm ich das Klicken von einer Haustür, und eine Gestalt erschien unter mir, warf sich mit lässig eleganter Bewegung einen Umhang über die Schultern und ging munteren Schrittes davon, einen kräftigen Stock unter dem Arm.
Frank Carterton hatte seine Pflicht bei der Tante am Abend erfüllt und seinen Anfall von Verärgerung offensichtlich abgeschüttelt. Er war auf dem Weg in die Stadt, um seinen eigenen Vergnügungen nachzugehen.
KAPITEL DREI
Inspector Benjamin Ross
»Da wären wir, Sir«, sagte Sergeant Morris mit rauer Stimme.
Wir hatten uns einen Weg zwischen Müllhaufen hindurch gebahnt, die an manchen Stellen so hoch waren wie Schlackehalden. Diese Straßen waren nie gepflastert gewesen, und im Laufe der Zeit hatten sich tiefe Furchen und Schlaglöcher gebildet. Die Ränder der Furchen waren hart wie Stein, auch schon vor den gegenwärtigen Aktivitäten, die Agar Town leer und verlassen daliegen ließen, als hätte hier eine biblische Plage gewütet.
Geborstene Ziegel bedeckten unseren Weg und machten jeden Schritt gefährlich. Zwischen Brocken von Mauerwerk und herabgefallenen Balken, die in die Höhe ragten wie die zerschmetterten Spanten eines Schiffswracks, war das Erdreich aufgewühlt von
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