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Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses

Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses

Titel: Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
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verdiente. Was würde nur Mrs Belling sagen? Sie würde höchst verlegen reagieren und – was sonst? – ihrer Freundin in Durham die Schuld dafür geben, welche Madeleine auf Mrs Bellings Bitten im Namen ihrer Freundin Mrs Parry hin gesucht, gefunden und nach London geschickt hatte. Mrs Bellings Freundin hatte eine sehr schlechte Menschenkenntnis an den Tag gelegt, indem sie diese Person empfohlen hatte. Allein der Gedanke, dass sie, Tante Parry, dieses Mädchen unter ihrem Dach aufgenommen und dass sie ihr jede Freundlichkeit erwiesen hatte …! Nein, kein Zweifel, die Dame in Durham würde ihrerseits Tante Parry sämtliche Schuld zuweisen, um ihre eigenen Fehler zu überdecken, weil sie kein strengeres Auge auf Madeleine gehabt hatte.
    Was Tante Parry nicht sagte, ich mir aber dachte, war, dass ihr Erguss mich sehr an die ›Reise nach Jerusalem‹ erinnerte, die Kinder so gerne auf Feierlichkeiten spielen. Jeder sucht einen Platz, und keiner will überrascht werden, wenn der Pianist plötzlich aufhört zu spielen. Jetzt hatte die Musik für die arme Madeleine angehalten, und alle, die sie gekannt hatten, stürzten sich auf den nächsten freien Stuhl.
    Schließlich erhob sich Tante Parry aus ihrem Sessel. »Ich hoffe nur, du wirst mir nie so viel Kummer bereiten, Elizabeth«, ermahnte sie mich.
    »Nein, bestimmt nicht, Tante Parry«, versicherte ich ihr und spürte, wie ich bei meinen Worten errötete. Ich mochte es nicht, wenn man mich vor etwas warnte, das ich gar nicht zu unternehmen vorhatte. Als wäre ich so hohlköpfig, mit einem Bewunderer durchzubrennen, der es so wichtig fand, seine Identität geheim zu halten, dass keine Menschenseele sein Gesicht kannte!
    Nachdem ich diesen Gedanken gedacht hatte, schalt ich mich sogleich innerlich dafür, dass ich in die Falle getappt war. Auch ich hatte damit Madeleine selbst die Schuld an ihrem Unglück gegeben. Wer auch immer der Mann gewesen sein mochte, er hatte die Gabe besessen, sie zu überzeugen. Madeleine hatte ihm geglaubt. Wie sollte ich von vornherein ausschließen können, dass ich in ihrer Situation nicht ähnlich gehandelt hätte? Trotzdem, ich wollte gerne glauben, dass ich scharfsinnig genug war, um einen Schwindler zu entlarven.
    Tante Parrys Gesichtsausdruck war milder geworden, und sie tätschelte meinen Arm. »Aber du bist Josiahs Patenkind, und dein Papa war ein ehrbarer Mann, ein Arzt und Heiler obendrein. Die Umstände sind ganz andere. Nun, dies ist uns allen eine Lektion, denke ich.«
    Nachdem sie gegangen war, zog ich mich fluchtartig in den Schutz meiner eigenen Kammer zurück und setzte mich hin, um das Gewirr von Gedanken zu entflechten, die sich in meinem Schädel gegenseitig jagten. Madeleines Tod hatte dazu geführt, dass ich eine eigenartige Begegnung gehabt hatte. Natürlich hatte ich ihn nicht wiedererkannt. Wie auch? Alles lag mehr als zwanzig Jahre zurück, und wir waren beide Kinder gewesen. Doch ich erinnerte mich an die Ereignisse und die Umstände unserer ersten Begegnung, als läge sie nicht länger als eine Woche zurück.
    Der Vorfrühling in jenem Jahr damals war kalt und feucht gewesen. Im Laufe der Nacht hatte es stark geregnet, wenn ich mich recht entsann, und der Lärm der gegen das Glas meiner Scheibe prasselnden Tropfen hatte mich vom Einschlafen abgehalten, während ich mit der Decke bis über beide Ohren in meinem Bettchen gelegen hatte. Endlich war ich in einen unruhigen Schlaf gefallen, nur um kurze Zeit später von dem schweren Messingtürklopfer in Form eines Fuchskopfs wieder geweckt zu werden, der ungeduldig an unsere Haustür hämmerte, gefolgt von drängenden Faustschlägen auf die Holzpaneele.
    Ich setzte mich im Bett auf und glaubte zuerst, es wäre Donner. Doch dann hörte ich eine Stimme unten rufen: »Doktor! Doktor Martin! Bitte, kommen Sie schnell, Sir! Sie werden gebraucht!«
    Ich krabbelte aus dem Bett und auf den Fenstersims und spähte nach draußen. Mein Kinderzimmer lag ganz oben in unserem Haus, einem alten, schmalen Gebäude, in dem die Zimmer übereinandergestapelt waren wie Bauklötze. Es war kurz vor Einbruch der Morgendämmerung, und tief unten konnte ich das schwankende Licht einer Laterne im Zwielicht erkennen, die einen winzigen Kreis in ihr gelbes Licht tauchte. Eine undeutliche Gestalt hielt die Laterne. Ich hatte keine Angst, weil diese Art von frühmorgendlichen oder nächtlichen Besuchen nicht selten vorkam. Mein Vater war der beliebteste Arzt in der Gemeinde. Der andere war

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