Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses
Verwandte, deren Erbe er war, davon überzeugen müsste, dass die Ehe mit einer mittellosen jungen Frau akzeptabel war. Vielleicht hat er ihr gesagt, dass Mrs Parry ihn nicht guthieß und Madeleine jede Gelegenheit nehmen würde, sich mit ihm zu treffen. Aber egal. Was auch immer er ihr erzählt haben mag, sie muss es geglaubt haben.«
Ross nickte, doch er sagte nichts und beobachtete mich nur aufmerksam, während ich weitersprach.
»Ich weiß es nicht, aber ich vermute, dass er, als Madeleine ihm ihre Schwangerschaft anvertraut hat, sich einverstanden erklärt hat, sie zu heiraten, allerdings heimlich«, fuhr ich fort. »Bessie hat mir erzählt, dass Madeleine an jenem Morgen, an dem sie das Haus verließ, sehr glücklich gewirkt habe. Sie war seit Wochen nicht mehr so fröhlich gewesen. Mr Slater hat ebenfalls bemerkt, dass sie optimistisch wirkte und keine Angst hatte, allein in der St. Luke’s Kirche zurückgelassen zu werden. Sie erzählte ihm das, weil alles arrangiert war. Ich denke, dass ihr Verführer ihr weisgemacht hat, er hätte eine spezielle Lizenz für ihre Hochzeit erwirkt. Ich denke, er schlug vor, dass ihre Hochzeit an irgendeinem sehr privaten Ort stattfinden sollte, damit sie nicht bekannt wurde. Die St. Luke’s Kirche war bereits so gut wie verlassen. Er erzählte ihr, dass er einen Geistlichen überredet oder bestochen hätte, dorthin zu kommen und sie beide zu trauen. Wer würde die Zeremonie schon sehen? Selbst die Arbeiter von der Baustelle waren noch nicht bis in diese Gegend vorgedrungen.«
»Die Hochzeit würde zwei Trauzeugen erfordert haben«, bemerkte Ross.
»Dann hat er ihr erzählt, er hätte zwei gute Freunde, die absolut zuverlässig seien und deren Diskretion vollkommen wäre. Sie war in ihn verliebt. Sie glaubte alles, was er ihr erzählte. Ich denke nicht, dass sie sonderlich intelligent war. Ich weiß, dass sie eine romantische Ader hatte, weil sie eine Menge von diesen billigen Liebesromanen gelesen hat.«
»Wer hat Ihnen das erzählt?«, fragte Ross leise.
»Nun ja, das war Frank Carterton. Frank und ich halten es für möglich, dass sie diesen Verführer in der Leihbücherei kennen gelernt hat. Sie besuchte diese Büchereien häufig. Nun ja, wo war ich stehen geblieben …?«
»Miss Hexham fuhr also zur St. Luke’s Kirche, um zu heiraten, oder jedenfalls hat sie das geglaubt«, kam Ross mir zu Hilfe.
Mir wurde bewusst, dass ich an diesem Punkt ans Ende meiner Schlussfolgerungen gelangt war. »Ich weiß nicht, was als Nächstes passiert ist«, gestand ich. »Außerdem ist mir völlig klar, dass ich nichts von alledem beweisen kann.«
»Sie wissen, dass Madeleine seit mehr als zwei Monaten vermisst wurde und erst seit zwei Wochen oder weniger tot ist«, sagte Ross.
Auf irgendeine Weise war das die beunruhigendste Tatsache von allen, und ich sagte: »Ich wage gar nicht, daran zu denken. Er hielt sie gefangen. Er hatte Angst, sie gehen zu lassen. Am Ende brachte er sie um. Ich denke, er fand sich in einer Situation wieder, in der er keinen anderen Ausweg mehr zu haben glaubte.«
Ross’ Augenbrauen schossen in die Höhe. »Einen Ausweg?«
»Nein, natürlich nicht. Nicht moralisch gesehen. Aber wir reden hier nicht über einen moralischen Mann. Wir reden über ein Monster.«
»Oh, Monster«, sagte Ross. »Ja, ich bin in meiner Zeit bei der Polizei bereits dem ein oder anderen Monster begegnet. Ich bin aber auch einer ganzen Reihe sehr verängstigter Menschen begegnet, die aus lauter Angst grauenvolle Dinge getan haben. Mörder sind nicht immer von Geburt an schlecht. Manchmal werden sie erst zu Mördern gemacht.«
»Aber sie so lange gefangen zu halten!«, platzte ich heraus. »Das ist in meinen Augen das Verhalten eines Monsters!«
»Und wo hat er sie gefangen gehalten?«, fragte Ross.
»Wieso?«, entgegnete ich. »In einem der verlassenen Häuser von Agar Town. Jeder weiß, dass sie leer stehen. Jeder sieht, wo die Bauarbeiter sind. In der Nacht war niemand zugegen, und bei Tage war der Lärm der Abrissarbeiten so groß, dass niemand ihre Hilfeschreie gehört hat!«
Ross trommelte mit den Fingern auf der Schreibtischplatte. »Wenn das, was Sie sagen, richtig ist – und sagen wir mal, es stimmt mehr oder weniger mit meinen eigenen Gedankengängen überein –, dann gibt es immer noch ein Problem: Warum hat er sie nicht sogleich umgebracht? Jeder Tag, den sie in Gefangenschaft am Leben blieb, erhöhte das Risiko, dass sie gefunden wurde. Wir müssen
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