Wer sich nicht fügen will
Erkko-Salonen, Riitta Saarnios Ärztin, riss mich aus meinen Überlegungen. Wir diskutierten eine Weile über die ärztliche Schweigepflicht. Schließlich war die Ärztin bereit zu bestätigen, dass Riitta Saarnio seit langem an Depressionen gelitten hatte, was zeitweise ihre Arbeitsfähigkeit eingeschränkt hatte. Eine Gefahr für andere sei die Patientin jedoch nicht gewesen, allenfalls für sich selbst.
»Hat sie mit Selbstmord gedroht?«
Die Ärztin zögerte lange, bevor sie antwortete, dass Riitta Saarnio diese Möglichkeit erwähnt hatte. Die Geburt ihrer Enkelkinder hatte ihr vorübergehend neue Lebenskraft gegeben, doch nachdem ihre Tochter mit der Familie nach Brüssel gezogen war, hatte sie sich noch antriebsloser gefühlt als zuvor.
Auch Ursula und Autio waren rechtzeitig zur Besprechung zurück. Koivu berichtete, Sulonens Zustand sei unverändert, doch das EEG deute auf die allmähliche Wiederherstellung verschiedener Gehirnfunktionen hin. Es bestand Hoffnung, dass das Sprachzentrum nicht geschädigt war, aber die Beine würden möglicherweise gelähmt bleiben. Zumindest bewegten sie sich, im Gegensatz zu den Armen, bisher nicht.
»Sulonen weiß bestimmt, wer auf ihn geschossen hat«, meinte Koivu. »Er war sicher nicht ohne Grund im Big Apple, sondern weil der Täter sich dort mit ihm verabredet hatte.« Die anderen nickten zustimmend, denn das war ja von Anfang an unsere Arbeitshypothese gewesen: Der Täter hatte Sulonen aus der Telefonzelle am Bahnhof angerufen.
Ursula und Autio hatten versucht, Riitta Saarnios Tagesablauf zu rekonstruieren, doch bisher gab es darüber nur wenig Informationen. Als die Kameraleute nach fünf Uhr ins Studio gekommen waren, war sie bereits dort gewesen.
»Okay. Die Theorie, dass Riitta Saarnio die Täterin ist, bleibt unser wichtigster Ermittlungsstrang, aber wir behalten alle anderen Alternativen ebenfalls im Auge. Frau Saarnios Bekanntenkreis muss vernommen werden. Darum kümmern sich Honkanen und Autio, die anderen erledigen die bereits verteilten Aufgaben. Und sagt mir Bescheid, wenn ihr Länsimies erreicht habt. Ich selbst mache mit Arto Saarnio weiter.«
»Was ist eigentlich Saarnios Status, Maria?«, fragte Puupponen. »Vernimmst du ihn nur als Zeugen? Was, wenn er selbst hinter der ganzen Sache steckt? Vielleicht ist er der Drahtzieher im Zuhältergeschäft und hat dir das Märchen, er wäre in Oksana Petrenko verliebt, nur aufgetischt, um die Kleine aufzuspüren und sich an ihr zu rächen.«
»Saarnio könnte am Donnerstagabend zum Studio gefahren sein, um seine Frau abzuholen, und ihr das Gift ins Glas getan haben«, fügte Koivu hinzu.
»Unsinn. Er ist mit der letzten Maschine aus Schweden gekommen«, erwiderte ich heftiger als nötig.
»Hast du das überprüft?«, giftete Koivu zurück. »Mit Finnair oder SAS?«
»Lass dir die Passagierlisten von beiden geben.« Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben, obwohl ich nahe daran war, zu explodieren. Ich sehnte mich nach meinen Kindern, es war absurd, dass sowohl ihr Vater wie ihre Mutter zu beschäftigt waren, um bei ihnen zu sein.
»Okay, Chefin«, antwortete Koivu mit spöttischer Betonung auf dem zweiten Wort. Ich schnitt ihm eine Grimasse, doch er starrte verbiestert vor sich hin.
»Wann wird Riitta Saarnio obduziert?«, fragte ich, um wenigstens irgendeinen Kontakt zu ihm zu bekommen.
»Montag früh. Die Woche fängt gut an. Soll ich deswegen die Morgenbesprechung sausen lassen?«
»Ja.«
Da ich entsetzlich müde war, beschloss ich, nach Hause zu fahren. Die Sonne stand noch hoch am Himmel, die Weidenzweige bekamen allmählich die für den Frühling typische rötliche Tönung, die Birken färbten sich violett. An den Straßenrändern hatten sich vom tauenden Schnee kleine Bäche gebildet, deren Plätschern ich bis ins Auto zu hören meinte. Ich rief meine Schwiegermutter an und sagte ihr, dass ich auf dem Heimweg einkaufen und mich um das Essen kümmern würde.
Es tat gut, über alltägliche Dinge nachzudenken. Wie viel Liter Milch brauchten wir? War noch Joghurt im Haus? Und Käse? Im Geschäft entdeckte ich eine neue Sorte Diät-Cider, von der ich zwei Flaschen kaufte. Antti fand das Getränk pervers, es schmeckte seiner Meinung nach nur nach Zusatzstoffen. Ich wartete darauf, dass jemand auf die Idee käme, Cider mit Salmiakgeschmack herzustellen. Salmiakschnaps gab es bereits, doch den gönnte ich mir nur in Ausnahmefällen, denn er schmeckte mir allzu gut. Für Venjamin kaufte ich Nierchen,
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