Wer sich nicht fügen will
Reporter lächelte breit. »In einem Jahr kann viel passieren, wie die letzte Präsidentenwahl gezeigt hat. Aber Politik ist nicht mein Ressort.«
»Ich werd’s mir merken.« Die Raucherzelle war miserabel belüftet, der Mief von Tausenden Zigaretten hatte sich in die Wände und Betonbänke gefressen. Für den Rest des Tages würde er auch in meinen Haaren hängen.
»Ich ruf dich sofort an, wenn wir publik machen können, mit welcher Waffe im Big Apple geschossen wurde«, versprach ich als Gegenleistung. »Und wenn dieser Fall aufgeklärt ist, lade ich dich zu einem Bier ein.«
Nachdem der Reporter sich verabschiedet hatte, um seinen Bericht zu schneiden, sah ich nach, wie es Pamela Lahtela ging. Sie war mittlerweile aufgewacht und sah noch elender aus als am vorigen Abend. Ihre Pupillen waren fast auf Normalgröße geschrumpft, aber sie schwitzte immer noch und zitterte heftig. Als ich die Zellentür öffnete, sprang sie auf und rannte in solchem Tempo auf mich zu, dass ich schon glaubte, sie wolle mich angreifen.
»Warum bin ich hier?« Ihr Atem roch nach Erbrochenem.
»Ich hab nix getan, ihr müsst mich rauslassen!«
Pamela war aus dem Jugendheim davongelaufen, schon das war ein ausreichender Grund, sie festzunehmen. Allerdings wurde sie in wenigen Wochen achtzehn. Aufgrund ihres jugendlichen Alters war sie bevorzugt zur Drogenentziehung zugelassen worden. Nach den Informationen des Sozialamts hatte ihre Mutter sich vor rund zehn Jahren abgesetzt, und Pamela war bei ihrem alkoholkranken Vater aufgewachsen.
»Die waren heute Nacht hier, die Russen! Ich konnte nicht schlafen, weil sie auf mich gelauert haben!«, erklärte Pamela aufgeregt. »Ich hab die ganze Zeit Angst gehabt, dass sie mich holen. Ich will raus, hier bin ich auch nicht sicher!«
Pamela war fast drei Monate abgängig, seit der Woche vor Weihnachten. Ich fragte, wo sie in dieser Zeit gewohnt hatte.
»Wieso gewohnt? Shit, ich wohne nirgendwo. Wenn ich auf Speed bin, brauch ich keinen Schlaf. Und der Winter ist warm gewesen. Irgendein Platz findet sich immer. Ich bin ne freie Seele, lass mich raus hier!«
»Wie hast du Lulu Nightingale kennen gelernt?« Ich setzte mich auf die Pritsche, Pamela dagegen rannte in der Zelle auf und ab. Vier Schritte hin, vier zurück. Der zwanghafte Bewegungsdrang war eine Folge des Amphetamins.
»Ich hab ein Interview mit ihr in der Zeitung gesehen, als ich noch in der Nazianstalt war. So wollte ich auch leben, mit eigenem Studio und so, und keiner kann dich verprügeln. Sogar die Freier hat sie sich selbst ausgesucht. Ich … ich hab sie angerufen, ihre Nummer steht ja im Telefonbuch. Sie hat gesagt, ich soll mal vorbeikommen, und da bin ich hin …«
»Wann war das?«
»Als der Marktplatz überschwemmt war. Shit, ich wär am liebsten schwimmen gegangen, das sah so cool aus … Ich mag Wasser. Manchmal nimmt ein Freier mich mit ins Hotel, dann kann ich duschen oder baden. Einmal war ich sogar in einer Wanne mit Löwentatzen, das war supergeil.« Pamelas Augen leuchteten, und für einen kurzen Moment sah sie wie das junge Mädchen aus, das sie war.
»Du hast Lulu also Anfang Januar getroffen?«
»Kann sein. Sie hat erst gesagt, ich könnte kommen, aber wie sie gehört hat, dass ich ne Bahnhofsnutte bin und dass ich … Na ja, da wollte sie mich doch nicht. Ich sollte zum Pro-Zentrum gehen, hat sie gesagt, die könnten mir helfen, vom Stoff runterzukommen. Sonst würde es mir schlecht ergehen, Speed und Rumhuren passen nicht zusammen, hat sie gemeint. Die Russen würden eine wie mich nicht lange in Ruhe lassen. Und da hat sie ja auch Recht gehabt.« Pamela setzte sich neben mich und fasste mich am Handgelenk. »Sie wusste, dass sie selber in Gefahr war, und dabei war sie die Beste von allen! Warum hat ihr Leibwächter sie nicht beschützt? Ist der auch tot?«
Ich starrte sie an. Am Abend war ich so müde gewesen, dass ich nicht begriffen hatte, wie unlogisch ihre Aussage gewesen war. Wie hatte sie wissen können, dass Tero Sulonen lebensgefährlich verletzt war, da doch die Identität des Mannes erst auf der Pressekonferenz bekannt gegeben worden war?
»Pamela, wer hat dir erzählt, dass Tero tot ist?«
»War das nicht Tero, der im Big Apple erschossen worden ist? Natürlich war er es. Der wollte sich da mit irgendwem treffen, obwohl er Schiss hatte. Er hat gesagt, der Typ wär total verrückt.«
»Welcher Typ? Wovon sprichst du?« Ich hätte sie am liebsten geschüttelt. Sie stand auf und ging zum
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