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Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Letholainen
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schickt mir eine Nachricht. Ich komme anschließend wieder her«, sagte ich zu Koivu, der die Brille abgesetzt hatte und sich die Schläfen massierte.
    »Ein Mann, mittelgroß oder etwas kleiner?«, fragte er statt einer Antwort. »Und wenn es sich nun um eine Frau in Männerkleidung handelt? Anna-Maija Mustajoki hat ziemlich breite Schultern.«
    »Und einen großen Busen, der sich nicht so leicht verbergen lässt. Nein, Koivu, wir suchen einen Mann. Wenn du an diejenigen denkst, die im Fernsehstudio waren, kommt nur einer infrage: Ilari Länsimies. Mauri Hytönen ist in Estland oder sollte jedenfalls dort sein. Puustjärvi hat ihn angerufen, aber er meldet sich nicht.«
    »Ist doch klar, wo der steckt«, grinste Puupponen, der gerade wieder hereingekommen war. »Wir haben jetzt die sechste Beschreibung des Mannes, der sich im zweiten Stock herumgetrieben hat. Den Fall knacken wir! Es gibt klare Übereinstimmungen in den Aussagen. Morgen früh haben wir bestimmt schon eine Skizze.«
    »Gut.«
    »Zwei der Augenzeugen sagen, der Typ sei ihnen vage bekannt vorgekommen, sie wüssten aber nicht woher. Einer meinte, das Gesicht habe irgendwie an der falschen Stelle gesessen.«
    »Auch das kann eine nützliche Beobachtung sein. Sonst noch was?«
    »Seltsamerweise hat niemand einen Schuss oder auch nur das Zischen des Schalldämpfers gehört. Ein paar Typen sind zwar felsenfest überzeugt, einen lauten Knall vernommen zu haben, aber solche Typen gibt’s ja immer«, sagte Puupponen und machte sich auf den Weg zur nächsten Vernehmung.
    Ich schnappte mir einen Schokokeks und lief die Treppe zur Tiefgarage hinunter. Ich fuhr meinen Wagen auf den Hof, hielt an und stieg aus, um ein paarmal tief durchzuatmen. Die Augen wollten mir zufallen, aber ich kämpfte gegen die Müdigkeit an. Es war zehn Uhr. Ich schaltete das Autoradio ein. In den Nachrichten wurde über den Anschlag im Big Apple berichtet und um sachdienliche Hinweise an die Espooer Polizei gebeten. Der dafür vorgesehene Anschluss im Präsidium lief schon seit Stunden heiß. Kaartamo hatte sich um die Pressemitteilung gekümmert und versprochen, auch die Pressekonferenz am nächsten Morgen zu leiten, hatte allerdings darauf bestanden, dass auch ich daran teilnahm. Vielleicht war es nur gut, wenn ich todmüde und zerknittert nach der durchwachten Nacht vor die Kameras trat. Das würde die Vertreter der Medien davon überzeugen, dass die Polizei tatsächlich hart arbeitete.
    Nach den Nachrichten kam Céline Dion mit dem Titelsong des Films »Titanic«. Ich wechselte rasch den Sender, doch das Lied saß mir bereits im Kopf und rief mir meine Großmutter in Erinnerung, die mit nicht einmal dreißig Jahren Kriegerwitwe geworden war. Wie die Filmheldin hatte auch sie in dem Glauben Trost gefunden, dass sie ihren Mann im Jenseits wiedersehen würde. Ich hoffte, dass sie Recht hatte, auch wenn ich nicht recht wusste, ob ich an ein Leben nach dem Tod glauben wollte – das Diesseits war kompliziert genug. Allerdings hatte ich in letzter Zeit häufiger als früher über Glaubensfragen nachgedacht. Ich hatte meine Grübeleien heruntergespielt, mir eingeredet, es handle sich um die Krise der mittleren Jahre, um die endgültige Anerkennung der eigenen Sterblichkeit. Natürlich führte mein Beruf mir immer wieder vor Augen, wie vergänglich das Leben war, aber vor der Frage, was nach dem Tod kam, war ich bisher davongelaufen.
    Leenas Tante Allu war wieder in die Kirche eingetreten, und auch Tero Sulonen glaubte, dass er nach dem Tod wieder mit Lulu vereint sein würde. War diese Überzeugung nur ein Versuch, das Unausweichliche von sich wegzuschieben? Einer meiner Kollegen hatte sich das Leben genommen, nachdem seine Geliebte ermordet worden war. Hatte er es getan, um schneller zu ihr zu gelangen? Dann wäre die Hoffnung auf ein Wiedersehen im Jenseits gefährlich, weil sie einem das Interesse am Leben nahm.
    Ballistik war definitiv leichter als Metaphysik. Ich schob eine CD der Band Pojat ein und sang bei dem Song »Punker« laut mit. »Der Staat ist fürn A-a-arsch, Punker, aber er hat dich geschluckt, Punker, mit Hau-au-aut und Haar.« Der Text passte allzu gut auf meine Situation als emsige Beamtin, die selten Zeit für ihre Bassgitarre hatte und praktisch nur noch im eigenen Wohnzimmer Pogo tanzte, zum Staunen ihrer Kinder.
    Im Foyer der Klinik fragte ich nach Miasofia Hietamäki. Söderholm war bereits bei ihr im Arztzimmer. In Jeans und abgewetzter Lederjacke erinnerte er

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