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Wer sich nicht fügen will

Wer sich nicht fügen will

Titel: Wer sich nicht fügen will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Letholainen
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eher an einen alternden Rockstar oder an eine jüngere Kopie des Schriftstellers Samuel Beckett als an einen hoch qualifizierten Waffenexperten. Er betrachtete eine von Blut und Hirnmasse gesäuberte, in Plastik verpackte Stahlkugel, während die Ärztin Fotos von Tero Sulonens Hinterkopf ausbreitete.
    »Die Kugel muss mit ungeheurer Geschwindigkeit und Kraft aufgetroffen sein, denn sie hat sich durch die Hirnschale in den Kortex gebohrt.«
    »Aus welcher Entfernung fiel der Schuss?«, wollte Söderholm von mir wissen. Er roch nach Zigaretten, die schmalen Finger, die den Plastikbeutel hielten, waren nikotingelb. In der sterilen Krankenhausluft war mir der Geruch fast angenehm.
    »Aus zwanzig bis dreißig Meter. Die genaue Position des Schützen konnten wir noch nicht feststellen, aber das Bild klärt sich allmählich.«
    »Aha … Gibt es hier einen Computer, den ich benutzen könnte? Ich muss unsere Archive durchforsten.«
    »Bitte«, sagte Miasofia Hietamäki und zeigte auf ihr eigenes Gerät. »Ach nein, Moment bitte, an die Daten darf ich Sie natürlich nicht heranlassen …« Sie setzte sich an den Computer und klickte eine Weile, bis nur noch das Basismenü zu sehen war.
    Söderholm klopfte seine Taschen ab, zog eine Zigarettenschachtel hervor und steckte sich ein Stäbchen zwischen die Lippen. Miasofia Hietamäki holte tief Luft und wollte schon protestieren, da drehte sich Söderholm auf seinem Stuhl um und grinste breit:
    »Ich steck sie nicht an, keine Sorge. Aber so kann ich besser denken. Addiktion, wissen Sie. So schlimm, dass selbst Hypnose nicht geholfen hat. Vielleicht wollte ich aber auch nicht, dass sie hilft.«
    Er ließ die Finger über die Tasten tanzen und gab von Zeit zu Zeit einen seltsamen Singsang von sich.
    »Sie haben mir am Telefon gesagt, Sulonen werde wahrscheinlich überleben, im Übrigen könnten Sie aber keine Prognose geben. Wie meinen Sie das?«, fragte ich die Ärztin.
    »Das Geschoss hat offenbar das Sprachzentrum beschädigt. Vorläufig können wir nichts weiter tun, als die Entwicklung zu beobachten. Wir halten den Patienten mindestens drei Tage im künstlichen Koma, damit das Gehirn sich regenerieren kann. Wenn er aufwacht, wird er höchstwahrscheinlich zu einem gewissen Grad unter Gedächtnisschwund leiden.«
    Sulonen war vor dem Anschlag rund vierundzwanzig Stunden auf freiem Fuß gewesen, Koivu versuchte gerade festzustellen, was er in dieser Zeit getan hatte. Im Dezernat ging es jetzt noch hektischer zu als nach Lulus Tod. Miasofia Hietamäki setzte sich auf die Schreibtischkante, mit dem Rücken zu Söderholm.
    »Mein Kollege, der Sportschütze, von dem ich Ihnen erzählt habe, ist leider mit einer anderen Operation beschäftigt. Ich selbst habe Bereitschaftsdienst, kann also jederzeit abberufen werden. Wir haben nach den Angehörigen von Herrn Sulonen gesucht, aber er hat offenbar keine. Die Frau, mit der er zusammengelebt hat, meldet sich auch nicht.«
    »Sulonens Mitbewohnerin Lulu Mäkinen alias Nightingale ist tot.« Die Ärztin hob die Augenbrauen. »Richtig, wieso habe ich die Verbindung nicht gleich hergestellt? Ich habe eben nur daran gedacht, das Leben des Patienten zu retten. Glauben Sie, dass ein Sicherheitsrisiko besteht?«
    Das hatte ich mir auch schon überlegt. Für Sulonen wäre es das Beste, wenn wir die Information ausstreuten, dass er mit dem Tod kämpfte und zumindest für längere Zeit bewusstlos bleiben würde. Andererseits waren Patientendaten vertraulich, und es schien keinen Angehörigen zu geben, den wir um die Freigabe bitten konnten.
    »Bewachung ist sicher ratsam«, sagte ich und dachte an Oksana, die am helllichten Tag aus der Klinik verschwunden war. Wenn hier Profis am Werk waren, konnten sie mit Sulonen dasselbe anstellen. Ich versprach, mich um die Sache zu kümmern.
    »Na, wer sagt’s denn!«, rief Söderholm plötzlich. »Hatte ich also doch Recht! Ich hatte nämlich von Anfang an einen bestimmten Verdacht. Kommt her, Mädels, guckt euch das an, hier habt ihr eure Tatwaffe! Ein raffiniertes Ding, oder?« Er rückte zur Seite und zeigte so stolz auf den flimmernden Bildschirm, als präsentierte er uns sein erstes Kind.
    Zuerst begriff ich nicht, was ich da sah. Das Bild zeigte eine Art Katapult mit einem soliden, ergonomisch geformten Griff, den man über die Hand zog wie einen Handschuh. An diesem Griff war ein dickes elastisches Band befestigt, genau wie an den Steinschleudern, die ich als kleines Mädchen benutzt hatte, um mit

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