Wer sich nicht wehrt...
Tenndorf an: »Ja, ich habe Angst.«
»Vor was denn?«
»Davor, daß man euch verprügelt.«
»Ich könnte mich wehren. Ich war immer ein guter Boxer«, sagte Tenndorf.
»Was ist das denn für eine Einstellung, Horst?! Man fährt zu einem fremden Menschen mit dem Vorsatz, sich mit ihm zu prügeln? Ein Architekt, immerhin ein Mann mit Bildung und Lebensstil, will eine Schlägerei anzetteln?«
»Ich würde mich wehren, Carola, nur wehren, habe ich gesagt. Wer mich angreift …«
»Und wenn man den Angriff provoziert …? Nein, ich bleibe hier, und Mike bleibt auch hier! Und auch ihr fahrt nicht nach Otternbruch, und wenn, dann nur mit der Kripo.«
»Morgen mittag vielleicht …« Tenndorf kam ins Zimmer zurück. »Carola, was bis dahin alles passieren kann …«
»Da hast du völlig recht. Vor allem, wenn du hinfährst.« Sie blieb auf dem Sofa sitzen, als wäre sie dort angewachsen. »Morgen vormittag sieht alles anders aus.«
»Stimmt. Da können Pumpi und Micky – wenn es sie überhaupt noch gibt! – mit einem Frühtransport weggebracht sein. Hier ist jede Minute wichtig. Aber wenn deine Angst so groß ist …«
»Ja! Sie ist groß. Deinetwegen, Horst! Verstehst du das denn nicht?«
»Ich ja!« sagte Mike altklug und zog seinen Anorak wieder aus. »Expedition gestorben. Wir bleiben hier, Wiga … Meine Mami und dein Papi können schon jetzt nicht mehr, wie sie wollen. Das kann ja noch was werden.«
Am Abend geschah in Otternbruch etwas Merkwürdiges.
Willi Wulpert erhielt einen Anruf, nach dem er wie ein gestochener Stier ins Wohnzimmer stürzte.
»Josef«, brüllte er, »der Wagen muß sofort weg! Ja, sofort! Du bist aufgefallen, du Rindvieh! Und morgen kommt die Kripo zu uns! Der Hund und die Katze müssen auch weg, am besten zu Onkel Fritz. Für drei Tage … Ist das eine Scheiße! Josef, du holst den braunen Laster, ja, den für die Rübentransporte … Los, raus! Du fährst sofort!«
In der Nacht noch fuhr Josef Wulpert nach Wunstorf zu einem befreundeten Autohändler, stellte dort den weißen Kastenwagen ab und nahm einen zerbeulten Lastwagen mit, dessen Ladefläche penetrant nach verfaulten Rüben stank. Willi Wulpert brachte währenddessen Pumpi und Micky zu Onkel Fritz nach Vesbeck, einem Dorf an der Großen Beeke, und kam dann genau so wütend wie vorher zurück.
Emmi Wulpert saß vor dem Fernsehgerät und wartete auf ihn. »Alles klar?« fragte sie, als Willi hereinhumpelte.
»Nichts ist klar!« brüllte Wulpert. »Morgen ist die Kripo hier! Wer hat uns da angeschissen? Oder hat sich Josef so dämlich benommen, daß jemand etwas beobachtet hat?! Sind alle Papiere in Ordnung, Emmi?«
»Alle. Da können sie uns nichts anhaben. Da stimmt alles.«
»Ob Laurenz die Schnauze hält?«
»Der will doch einen warmen Hintern im Winter haben. So gut wie bei uns kann er's nirgendwo kriegen, auch nicht im Gefängnis.« Emmi schenkte ihrem Mann einen Schnaps ein. »Sprich noch mal mit ihm.«
»Morgen früh.« Wulpert kippte den Schnaps hinunter. »Ob das mit dem Fotoreporter zusammenhängt?«
»Möglich …«
»Diese Wanzen!«
»Du hättest ihn freundlicher behandeln sollen …«
»Ich hätte ihn erschlagen sollen!« brüllte Wulpert unbeherrscht. »Wenn einmal die Kripo hier war, stehen wir auf der Liste, und dann kommt sie immer wieder …«
Das ›Verhör‹ bei der Kripo war natürlich ein Ereignis für Wiga und Mike. Zum erstenmal in ihrem Leben betraten sie die Räume eines Kommissariats, die zwar aussahen wie viele andere Büros, aber doch etwas Besonderes waren.
Im Fernsehen wehte immer der Hauch des großen Verbrechens um die Schreibtische, und wenn ein Telefon klingelte, dann war entweder jemand dran, der sich bedroht fühlte, oder man hatte eine Leiche gefunden, oder jemand flüsterte mit verstellter Stimme ins Telefon: »Hände weg … oder es knallt!« Auf jeden Fall war immer etwas los.
Um so enttäuschter waren Wiga und Mike, daß bei ihrem Eintritt kein gefesselter Bandit aus dem Zimmer geführt wurde, sondern ein älterer Mann in einem guten sauberen Anzug sie höflich begrüßte. Ein Schimansky war nirgendwo zu sehen.
»Ihr habt also den weißen Kastenwagen gesehen?« sagte der freundliche Mann. »Dann erzählt mal.«
Mike reckte sich und sah Abbels mit gewichtigem Blick an. »Also das war so. Wir kommen aus der Schule, da fährt der weiße Wagen an uns vorbei. Das gleiche Modell, die gleiche eingedrückte Stoßstange, nur die Aufschrift war anders …«
»Wäscherei
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