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Wer sich nicht wehrt

Wer sich nicht wehrt

Titel: Wer sich nicht wehrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wildenhain
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von sich weg. Wir dachten: So ein Vollidiot. Tina schaukelte, die Brüste unterm T-Shirt ebenfalls. Viktor hielt die Schaukel an und begann zu reden. Mit erhobenem Zeigefinger und die Stirn in Falten, stelzte er dabei vor ihr auf und ab.
    Sogar wir konnten erkennen, dass sich Tina langweilte, aber Viktor merkte nichts. Er wirkte wieder wie ein Mann aus einem alten Film, in dem die Bewegungen abgehackt und lächerlich erscheinen.
    Wir hörten nicht, was Viktor Tina im Einzelnen erzählte. Konnten nur manchmal einen Satz oder ein lautes Wort verstehen und sehen, wie sich Tina, während er immer schneller sprach und die Schaukel knarrte, in ihrem knappen T-Shirt zurücklehnte und eine Zigarette rauchte.
    Sie paffte Viktor ins Gesicht, obwohl er die Nase rümpfte, dem Rauch auswich, während er sprach. Und Franco musste niesen. Es hörte niemand, weil der Wind die Blätter über uns bewegte. Der Himmel wurde dunkelgrau. Viktor und Tina schien es nicht zu stören. Nach kurzer Zeit verstanden wir, dass er ihr zu erklären suchte, was für ihn die Liebe sei. Wir sahen es an den Gesten und seinem kläglichen Gesicht. Der Walnussduft und der Geruch nach frischer Hundescheiße machten mir Nebel im Gehirn. Der Wind wurde nun langsam stärker. Und während sich der Himmel weiter verfinsterte, schien Viktor, dessen Gesten fahriger wurden, hoffnungslos zu altern. Vielleicht, weil Viktors Liebe nicht die Liebe Tinas war, vielleicht nur, weil er merkte, dass sie ihn nicht so mochte wie er sie.
    Tina schaukelte immer noch und rauchte dabei Zigaretten. Viktor redete immer weiter, obwohl sie ihm kaum zuzuhören schien.
    Franco flüsterte: »Sie wollte bestimmt was anderes von ihm …« Er stieß mich an und zwinkerte.
    Wir beschlossen zu gehen. Es war deutlich zu erkennen, dass nichts mehr passieren würde. Tina würde weiterrauchen, Viktor würde reden.
    Franco fragte mich: »Kapierst du, was sie an dem Blödmann findet?« Und ohne mich anzuschauen, ohne abzuwarten, ob ich diesmal eine Antwort geben würde, fuhr er fort: »Versteh ich nicht. Die Brüder fressen ihr doch aus der Hand. Und sogar in der Oberstufe gibt es welche, die was von ihr wollen …«
    Franco kickte nachdenklich eine zerbeulte Coladose vor sich her und hob sie lässig mit den Zehenspitzen – pleng! – in einen Abfallkorb.
    Hinter den Wolken hing die Sonne wie ein glatt rasierter Kopf, der sich an den Rändern auflöst.
    »Scheiße«, sagte Franco.
    Zögernd fielen Regentropfen durch das Laub welker Kastanien. Franco stieß mit beiden Füßen nach einem verdorrten Ast, der herabgefallen war. »Ihre Show da in der Laube hast du doch gesehen.«
    »Vielleicht …« Ich murmelte so vor mich hin. »Vielleicht macht sie es bloß aus Spaß?«
    »Aus Spaß?« Franco blieb stehen. Hob mit einem Ruck den Kopf. Über uns bewegten sich die Blätter. »Warum aus Spaß und wozu dann mit diesem Hampelmann?«
    »Ein Spiel«, nuschelte ich.
    Und weil er mit den Schultern zuckte und mich ansah wie ein Auto, versuchte ich das, was ich dachte, auszusprechen: »Um die beiden Brüder zu ärgern.«
    »Du meinst, damit die Brüder sie mit Viktor sehen?« Franco reckte sich und sah mich anerkennend an.
    Ich nickte. Wir lächelten. Ich war stolz auf mich, jedenfalls ein bisschen. Franco gab mir Recht. Zum ersten Mal. Und während sich der Regen noch verstärkte und Franco mit den Füßen nach Kieselsteinen kickte, gingen wir schweigend durch den großen Stadtpark, am Teich vorbei und an den Trauerweiden. Ich musste an Ayfer denken und dass sie mich nur noch selten zu bemerken schien. Neben mir lief Franco mit hochgezogenen Schultern, gebeugtem Kopf, die Hände in den Taschen.
    Gerade als ich mich fragte, ob Franco jetzt mein bester Freund sei und wie man sich, bevor man geht, von einem besten Freund verabschiedet, blieb Franco unvermittelt stehen und murmelte: »Viktor …« Dann eine lange Pause, ehe er meinte: »Klingt doch echt wie Fick-Tor, oder?« Er schaute den Enten nach, die auf dem Teich im Schilf verschwanden. »Aber bei dem Hänfling«, grunzte er und grinste müde, »läuft da unten sicher nix.«
    Wieder klang es so, als würde nicht er selber reden, sondern Francos Vater auf dem Bau.

9
    Das grüne Krepppapier war dick genug. Auch die Kerzen auf den Fensterbrettern blakten nur matt, der Klassenraum blieb schummrig. Und als es draußen endlich dunkel wurde, ließ Maren Schubert sogar das Licht seitlich der großen Tafel aus.
    Viktor kam als Erster. Er setzte sich am Rand des

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