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Wer sich nicht wehrt

Wer sich nicht wehrt

Titel: Wer sich nicht wehrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wildenhain
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Tittchen. Und die Brüste konnte man unter ihrem T-Shirt gut erkennen.
    Viktor lief ein Stück vor, bückte sich am Fahrradständer. Doch bevor er sich auf sein Fahrrad setzen konnte, holte Tina ihn noch einmal ein.
    Sie hatte sich den Mund mit rotem Lippenstift bemalt, und ehe Viktor seine Tasche mit einem alten Lederriemen am Rad befestigt hatte, sagte sie: »Wenn du willst, ich hätte Lust mich morgen Nachmittag mit dir zu treffen.«
    Wir grinsten: Das war Tina. Sie gab nicht so leicht auf. Viktor sperrte seinen Mund auf, starrte sie verwundert an. Dann gelang es ihm, zu nicken, wenngleich ein bisschen ungelenk. Wie ein Blechspielzeug zum Aufziehen. Dennoch formten seine Lippen eine Frage: »Wann?«
    »Fünf Uhr«, sagte Tina laut. Und blickte, als sie ihm zum Abschied noch die Hand gab, triumphierend zu uns rüber. Griente, während Franco mich anstieß und mir zuzischte: »Sag mir mal, was will die denn von dem?«
    »Etwas daran stimmt nicht«, sagte Franco. »Und ich zeig’s dir auch.«
    Was stimmt nicht, wollte ich ihn fragen. Doch ehe ich den Mund aufmachen konnte, fügte er hinzu: »Musst mir nur vertrauen. Ich hol dich heut um neun Uhr abends ab.«
    Seit der Sache mit den Heftchen hatte ich mit Franco, obwohl er in meiner Bank saß, nicht mehr reden wollen. Manchmal glaubte ich zu spüren, dass er sich schämte, weil er wegen der Fotos noch nicht mal gemerkt hatte, wie die Brüder in den Garten kamen. Aber Franco würde niemals zugeben, dass er, beinahe ein Spanier, etwas falsch gemacht hatte. Nur wenn Viktor mit ihm sprach und Franco ihm nicht mehr aus dem Weg gehen konnte, wirkte er verlegen: weil Viktor uns geholfen hatte und er in Francos Augen trotzdem ein Trottel blieb.
    Neun Uhr abends. Franco schellte. Ich stand schon in Turnschuhen im Flur.
    Auf der Straße hielt er an. Nahm mich brüsk beiseite, sagte: »Wir gehn wieder in die Gärten. Wenn du Schiss hast, sag’s sofort. Aber, Alter, glaub mir, ich bin jede Nacht dort.«
    Und nach einer kurzen Pause: »Hab sogar rausbekommen, was mit Viktors Onkel ist. Mit dem Bastler, weißt du? Hab den Garten von dem Onkel vor zwei Tagen erst entdeckt. Ist tatsächlich voller Plunder. Und der Onkel ist ein Kauz. Wie aus einem Gruselfilm. Aber nicht so unheimlich. Hat mir erzählt, dass Viktor immer mal bei ihm geparkt wird. Damit meint er: abgestellt. Denn der Vater, der hat tierisch Kohle. Aber, Alter, der ist dauernd unterwegs.«
    Alter, dachte ich und horchte noch Momente nach dem Klang von Francos Stimme, die mir Eindruck machen sollte. » Alter! «, sagte Francos Vater. Francos Vater arbeitete auf dem Bau. Er errichtete Gerüste.
    Ich nickte nur. Wir gingen. Der Himmel wurde dunkel. Die Luft roch noch nach Staub und trockner Hitze. Und während Franco fortfuhr: »Die Hütte von dem Onkel hättest du sehen sollen!«, fragte ich mich, warum er ausgerechnet mich mitnahm.
    Er lief ein Stückchen vor mir her. Ich folgte ihm und dachte: Die Antwort ist vielleicht ganz einfach – ich bin der Einzige, der ihm nie widerspricht.

7
    Franco kniete neben mir. Beide knieten wir vorm Fenster. In der Laube hörte man Musik. Langsame Musik. Karl-Heinz lümmelte auf einem Sofa. Beine auf dem Tisch, zwei Flaschen lehnten neben ihm am Kissen. Beide offen, abwechselnd trank er aus der einen und der anderen. Das Bier rann ihm manchmal übers Kinn. Franco zischte: »Jedes Mal guckt der wie ein fetter Bernhardiner.«
    In der Laube brannten nur Kerzen. Deshalb blieb der Raum beinahe dunkel. Außerdem war innen alles voller Zigarettenrauch, sodass selbst die Gegenstände nah am Fenster unscharf wurden.
    »Wo ist Eberhard?« Ich buffte Franco in die Seite.
    »Siehst du gleich, das siehst du gleich.« Franco schob mich leise zu dem zweiten Fenster, dessen Läden ebenfalls halb geöffnet waren.
    Dann erschien Tina. Sie stöckelte auf verblüffend hohen Absätzen hinter einem Wandschirm vor. Um den Hals hing ihr ein Schal aus verschiedenfarbigen, unterschiedlich langen Federn. Sie trug dazu ein Cocktailkleid. Ich kannte die Bezeichnung von meiner Mutter. Zwischen Tinas Lippen stak eine Zigarettenspitze aus blank poliertem Messing.
    »Was soll das?« Ich sah Franco an.
    »Das siehst du gleich.« Er lächelte versonnen.
    Dann wurde die Musik im dämmerigen Raum der Laube ein bisschen lauter. Franco presste die Nase jetzt fast an die Scheibe. Drinnen begann Tina sich in den Hüften hin und her zu wiegen. Ihr Körper wand sich zur Musik, die immer noch sehr langsam war, wie eine

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