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Wer sich nicht wehrt

Wer sich nicht wehrt

Titel: Wer sich nicht wehrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wildenhain
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Schlange. Ihre Hände fuhren von der Brust hinab bis zu den Schenkeln. Meistens sahen wir ihren Rücken. Aber einmal drehte sie sich wie in Trance um die eigene Achse.
    Dann ließ sie ihren Federschal langsam an sich heruntergleiten. Im Hintergrund erkannte man Karl-Heinz, der seinen Mund aufsperrte. Neben mir schluckte Franco trocken und wisperte: »Bisher war’s immer nur wie Modenschau.«
    Nach wie vor nichts von Eberhard. Mit einem harten Ruck zog Tina den Reißverschluss des Cocktailkleids vom Hals bis zu den Beinen auf.
    Der Reißverschluss saß vorn, nicht hinten. Und deshalb sahen wir, dass Tina unterm Cocktailkleid zwar einen Büstenhalter trug. Aber der war durchsichtig. Schwarz, beinahe wie ein Schleier. Tina lächelte und drehte sich vom Fenster weg. Karl-Heinz kippte das Bier um. Träge sickerte die Flüssigkeit neben ihm ins Sofa und in seine Hose.
    Ich schluckte. Franco musste sich mehrmals leise räuspern. Drinnen knickste Tina. Karl-Heinz hockte im Bier und sah sie an.
    »Und wo bleibt Eberhard?« Ich buffte Franco wieder in die Seite.
    »Kommt gleich.« Franco wischte sich durchs Gesicht, als ob ihm heiß sei.
    Ich hüstelte. Im Innern der Laube streckte Tina eine Hand aus.
    Und als der mickrige Rekorder, den wir nicht sehen konnten, mit dem nächsten Lied begann, trat Eberhard, im verschossenen Smoking, hinter einem eingetretenen Schrank vor. Machte drei unsichere Schritte in den verqualmten Raum hinein und musste sich verbeugen, bevor ihn Tina bei den Händen fasste und mit ihm, trotz der langsamen Musik, so tanzte, dass die Körper sich nicht berührten.
    Nachdem wir eine Weile durch das Fenster gelinst hatten, fragte ich Franco neben mir: »Und was geschieht am Ende?«
    »Nichts.« Er zog mich zum Kanal fort. »Ist jedes Mal das Gleiche: Erst die Show. Bisher nur Mode, wie Verkleiden. Dann tanzt einer mit ihr, der andre fläzt sich auf das Sofa und trinkt Bier.«
    »Und woher haben sie die Klamotten?«
    Franco zuckte die Schultern. »Haben sie von Tinas Mutter. War mal beim Theater, glaube ich.«
    Und während wir am Ufer des brackigen Kanals durchs Gebüsch nach Hause schlichen, fragte ich ihn vorsichtig: »Aber die ganzen Hefte?«
    »Kapier ich auch nicht«, sagte er. »Du hast ihn ja dort sitzen sehen: Sabbert wie ein Bernhardiner. Wartet, bis er den Smoking kriegt. Und beide tun, was Tina will. Sie bestimmt die Regeln …«

8
    »Es ist nicht richtig«, sagte Kai, »dass wir hier im Gebüsch hocken und auf die beiden warten. Das nennt man spannen.«
    »Alter!« Franco redete nur noch wie sein Vater auf dem Bau. »Alter«, sagte er, »was heißt hier richtig?«
    »Eben einfach richtig«, antwortete Kai. »Oder würdet ihr das wollen, dass euch jemand heimlich zusieht?« Er stieß mich an.
    »Weiß nicht.«
    Ich drehte mich nicht um. Sah verlegen auf die Erde, bis mir einfiel, weshalb Kai plötzlich so zu reden anfing, als ob er meine Mutter sei. Na, logisch! Wegen Lisa. Ich begriff auch, wieso Kai nachmittags kaum mehr Zeit hatte. Aber weil mir das Gefühl, alles habe sich verändert, schlagartig den Atem nahm, als wär ich hingefallen, konnte ich nicht antworten und schwieg.
    »Richtig«, murrte Franco, »richtig!« Er schnaubte: »Absoluter Blödsinn! Endlich mal geschieht was! Und guck dir doch den Spinner an! Bei so einem Trottel ist es egal, ob man ihn beobachtet. Sieh ihn dir doch an!«
    Viktor und Tina waren auf dem leeren Spielplatz aufgetaucht. Sie setzten sich beide auf die Schaukel.
    Die Rathausuhr schlug viermal. Dann fünfmal für die Stunden. Im Gebüsch roch es nach Walnuss und nach frischer Hundescheiße. Tina setzte sich zu Viktor. Wir hielten den Atem an. Die doppelt schwere Schaukel schwang ein Stück zurück.
    Es war still. Kein Wind, kein Vogel. Nicht mal die Geräusche ferner Autos. Tinas Hand in Viktors Nacken. Beide trudelten und schwankten. Sie auf seinem Schoß. Die Schaukel drehte sich um ihre eigene Achse.
    »Ich hau ab«, murmelte Kai.
    »Tu’s doch!«, grunzte Franco.
    »Mach ich auch!«
    Kai legte mir die Hand auf die Schulter, als wolle er mir sagen: Komm doch mit!
    Aber obwohl Franco wiederholte: »Alter, hau doch endlich ab! Mach schon! Pisst dir sonst gleich noch in die Hose!«, und obwohl mich sein Gerede ärgerte und Kai mich ansah – schmale Augen, bitterer Mund –, blieb ich.
    Und ich sagte sogar: »Und grüß Lisa von uns beiden.«
    Franco fragte: »So ist das?«
    Kai sah giftig zu mir hin.
    Und ich sagte: »Logo.«
    Wir warteten. Viktor schob Tina

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