Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
nicht zu verstellen war, so daß Timothy den Boden nicht einmal berühren konnte, wenn er die Füße streckte.
»Sie hatten keine Ahnung, daß Stahlheimer nachtblind ist?«
»Nein. Warum?«
»Ich dachte es mir.« Timothy kostete von dem Wasser. »Ja, es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen. Auch ein alter Reim. Aus der Zeit, als man die Sonne noch jeden Tag sehen konnte.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Selbrik. »Was wollen Sie von mir?«
»O doch, Sie verstehen mich sehr gut. Ich will wissen, warum Sie Stahlheimer umbringen wollten.«
Selbrik lehnte sich zurück und lachte. »Warum sollte ich Stahlheimer umbringen?«
»Vielleicht verraten Sie es mir?«
Selbrik schüttelte mitleidig den Kopf. Er holte ein goldenes Döschen hervor, nahm eine pfauenblaue Pille heraus und schluckte sie. »Ich bin gespannt, wie Sie zu dieser absurden Verdächtigung kommen. Ich denke, es ist ein Unfall gewesen?«
»Das dachte ich ursprünglich auch. Ich suchte nichts anderes als einen Anhaltspunkt, der den Ärzten weiterhelfen könnte. Dann kam der Mordanschlag in der Klinik. Ihr Übereifer hat mich stutzig gemacht.« Timothy versuchte sich zurückzulehnen und wäre beinahe hintenübergefallen. Er registrierte wütend, wie Selbrik sich über seine unbequeme Lage amüsierte.
»Wer, so sagte ich mir, kann ein Interesse daran haben, einen alten, halbirren Mann umzubringen? Die Antwort ist einfach: Jemand, der sich durch Existenz dieses alten halbirren Mannes bedroht fühlt. Stahlheimer ist der lebende Beweis für ein Verbrechen. Für welches, Mister Selbrik?« Selbrik sah ihn belustigt an. »Napoleon hat mich dann auf die richtige Spur gebracht.«
»Napoleon?«
»Mein Computer.«
»Ach so. Ihr Computer. Und der hat Ihnen sicher auch gesagt, daß ich Stahlheimer umbringen wollte, was?«
»Nein, das ist meine Idee.«
Selbrik lächelte.
»Napoleon ist auf die Frage gekommen, warum Stahlheimer nachts spazierenging, obwohl er nachtblind ist.«
»Was weiß ich? Stahlheimer ist spazierengegangen, nicht ich. Und er hat unser Viertel allein und gesund verlassen. Fragen Sie doch die Beamten vom Staatlichen Überwachungsdienst.«
»Hat Stahlheimer Ihnen wirklich nicht verraten, daß er keinen Schatten mehr hatte? Ich glaube vielmehr, Sie wußten genau, daß er zum erstenmal seit Jahren unbewacht herumlief; sonst hätten Sie nicht versucht, ihn auf diese Art umzubringen.«
»Sie sind phantastisch! Haben Sie sich schon mal als Kriminalschriftsteller versucht? Die Krimis im Video sind geradezu fade gegen Ihre Phantasie.«
»Gegen Ihre, Mister Selbrik, gegen Ihre.«
»Stahlheimer ist allein von hier weggegangen, dafür gibt es einen Zeugen, den Safeman.«
»Falls Sie noch einen Zeugen brauchen sollten, kann ich Ihnen helfen. Es hat sich jemand gefunden, der Stahlheimer bis zur Aerobus-Haltestelle gefolgt ist.«
Selbrik machte nicht gerade ein glückliches Gesicht.
»Kein idealer Zeuge, das muß ich einräumen, ein Berufsverbrecher. Er hielt Stahlheimer für einen Polizeispitzel, rührend, nicht wahr? Als ob unsere Polizisten scharf darauf wären, sich nachts auf den Straßen herumzutreiben.«
»Ich finde diese Idee gar nicht so unsinnig«, sagte Selbrik. »Immerhin ist es ungewöhnlich, wenn jemand –« Er biß sich auf die Lippen.
»Sprechen Sie ruhig weiter. Wenn jemand nachts allein spazierengeht? Ja, das ist nicht nur ungewöhnlich, es ist geradezu verrückt. Dazu am Regentspark vorbei! Aber Stahlheimer war doch, wie Sie behaupten, noch bei Verstand, als er Sie verließ, nicht wahr?«
Selbrik zuckte mit den Schultern.
»Ich denke mir, Sie haben schon auf dem Weg zum Tor gemerkt, daß er nachtblind ist, aber Sie mußten ihn loswerden.«
»Warum hätte ich ihn dann nicht hier umgebracht und eliminiert?«
»Weil sein Besuch registriert war. Er sollte so weit wie möglich von Ihrem Haus entfernt sterben. Und so natürlich wie möglich. Am besten war da ein Unfall. Vielleicht im Regentspark? Wie leicht kann dort ein alter Mann in den See fallen oder von einer der Klippen stürzen.«
»Und wie«, unterbrach Selbrik, »wie sollte ich Stahlheimer dazu bringen, in den Regentspark zu gehen, auf die Klippen zu steigen oder zum See zu laufen, ohne selbst das Haus zu verlassen?«
»Ja, wie?« Timothy machte ein Gesicht, als sei er ratlos. »Aus dem Haus mußte er. Sie konnten keine Untersuchung riskieren. Man hätte herausfinden können, wie er in diesen Zustand geraten ist.«
»Wollen Sie behaupten, das
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