Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
sei denn, was?« preßte Selbrik heraus.
»Es sei denn, Sie sagen jetzt die Wahrheit. Ich will wissen, was geschehen ist. Das ist das einzige, was mich interessiert.« Selbrik stützte den Kopf in die Hände. Timothy ließ ihm Zeit.
»Gut«, sagte Selbrik schließlich. »Sie sollen die ganze Wahrheit erfahren.« Er holte seine goldene Dose heraus und nahm eine Pille.
»Was schlucken Sie eigentlich andauernd?« fragte Timothy. »Ein Entwöhnungsmittel gegen ’Hollylove‹.« Selbrik griff zur Wasserflasche. »Möchten Sie noch einen Schluck?«
»Nein, danke. Aber wenn Sie einen Whisky hätten. Und einen anderen Stuhl.«
8.
Sie gingen in das Nebenzimmer. Timothy ließ sich erleichtert auf einen Liegesessel fallen und stellte die Automatik ein; als der Sessel die Ideallage einnahm, grunzte Timothy zufrieden. »Manchmal«, sagte er, »liebe ich unser Jahrhundert richtig. Kaum auszudenken, wie man früher ein ganzes Leben auf so unbequemen Sitzgelegenheiten zugebracht hat.«
Selbrik brachte drei Flaschen zur Auswahl, Whisky war nicht dabei. Timothy entschied sich für Gin. Die Flasche war noch versiegelt, Timothy öffnete sie selbst und bestand darauf, daß Selbrik wenigstens einen kleinen Schluck nahm.
»Sie haben ziemlich genau erraten, wie es war«, begann Selbrik, »nur, ich wollte Stahlheimer nicht umbringen. Glauben Sie mir, ich wollte ihn von Anfang an nach Hause lotsen; ich wußte, die besten Ärzte der Staaten würden sich seiner annehmen.«
»Warum haben Sie ihn nicht hier abholen lassen?«
»Um die Spur zu verwischen! Ich brauchte eine Zeitspanne, in der das mit ihm geschehen sein konnte; aber es war ein Unfall, Mister Truckle, kein Verbrechen! Und was hätte es ihm genützt, wenn man mein Haus durchsucht hätte? Nichts. Es hätte jedoch sein Lebenswerk vernichtet.« Selbrik sah Timothy beschwörend an.
»Unsere Arbeit wäre nicht länger zu verheimlichen gewesen. Es ist Stahlheimers Idee, und ich habe nicht das Recht, die Entdeckung seines Lebens leichtfertig zu veröffentlichen; wir haben ja noch nicht einmal die Vorpatente angemeldet. Nein, ich mußte die Spur verwischen, deshalb der Spaziergang.«
»Auf dem er zufällig umkommen konnte.«
»Ich hatte Stahlheimer die ganze Zeit unter Kontrolle. Im Notfall hätte ich eingegriffen.«
»Wie denn?« erkundigte sich Timothy. »Von hier aus, den Leib voller ’Hollylove‹?«
Selbrik winkte unwillig ab. »Die Spritze habe ich erst genommen, als Stahlheimer im ’Texas‹ war. Ich hätte ihm im Notfall den Auftrag erteilt, das Sprechfunkgerät einem anderen zu geben, mit dem hätte ich mich dann verständigen können.«
»Klingt ganz plausibel.«
Selbrik sah Timothy erleichtert an. »Nicht wahr, Sie glauben mir?«
»Was ist das für eine Entdeckung? Hängt sie mit Johnnys Anästhesiemethode zusammen?«
»Nein, Mister Truckle, etwas Neues, etwas absolut Neues, eine der sensationellsten Entdeckungen unserer Zeit, ach, was sage ich, aller Zeiten! Deshalb muß ich es geheimhalten, bis Stahlheimer wieder gesund ist oder bis ich unsere Arbeit allein abgeschlossen habe.«
»Was ist es?« fragte Timothy unnachgiebig.
»Sie wissen, was ich riskiert habe, damit niemand es erfährt.«
»Wenn es nicht nötig ist, wird es niemand von mir erfahren, das verspreche ich Ihnen. Mich interessiert nur, wie Stahlheimer zu helfen ist.«
Selbrik sprang auf und tigerte durch den Raum. Schließlich stellte er sich vor Timothy, kreuzte die Arme über der Brust und sah ihn triumphierend an.
»Wir haben die Seele entdeckt.«
»Wie bitte?« Timothy war hochgeschnellt.
»Sie haben richtig gehört, die Seele! Keine Angst, das hat nichts mit Religion zu tun, im Gegenteil, es handelt sich um eine wissenschaftlich erfaßbare, sich materiell konstituierende Erscheinung.«
Selbrik dozierte mit halbgeschlossenen Augen in einem Tonfall, als stünde er vor der ’National Bord of Science‹.
»Sie wissen, daß noch lange nicht alle Bereiche und Prozesse des menschlichen Gehirns erforscht sind. Stahlheimer ist nun auf ein Phänomen gestoßen, auf eine hochfrequente singuläre Permutation, die von den bisherigen Apparaturen nur gelegentlich erfaßt und bislang als Störfrequenz gewertet wurde. Wir konnten sie identifizieren und lokalisieren: Es handelt sich um einen in sich geschlossenen Kreis im Zwischenhirn.« Er lächelte Timothy an. »Ja, Mister Truckle, die Seele ist nichts als ein Wellenbündel, wenn auch ein sehr kompliziertes, ein Schwingkreis, der selbst nur eine
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