Wer stirbt, entscheidest du
und heulten wölfisch, als wollten sie der ganzen Welt den Schrecken mitteilen, dem sie hier ausgesetzt waren. D.D. hätte am liebsten mit eingestimmt, um sich ihre Wut und Hilflosigkeit von der Seele zu schreien.
Cassondra Murray, die Anführerin des Hundeteams, rief bereits über ihr Handy einen Tierarzt. Kollegen der Bostoner Polizei schwärmten aus und suchten, die Hände an ihren Holstern, nach weiteren Gefahrenhinweisen.
«Zurück!», brüllte Bobby.
Die Polizisten blieben stehen, ebenso wie die Hundehalter.
Bobby schaute sich um. D.D., die immer noch ihren Unterkiefer hin- und herbewegte, tat es ihm gleich.
Sie sah pinkfarbene Stoffreste, Teile einer Jeans und das, was der Turnschuh eines Kindes gewesen sein mochte. Sie sah rot und braun und grün. Sie sah … Fetzen. Ein anderes Wort gab es dafür nicht. Wo bis soeben noch die Überreste eines Menschen verscharrt gewesen waren, klaffte nun ein Krater mit einem weiten Saum aus Fetzen.
Die gesamte Lichtung musste sofort abgesperrt werden. Alle, die sich darauf befanden, mussten verschwinden, um nicht noch mehr Spuren zu verwischen. Außerdem mussten schleunigst die Gerichtsmedizin verständigt und die Spurensicherung angefordert werden. Es waren menschliche Überreste sicherzustellen, Haare, Gewebeproben, es gab … es gab so viel zu tun.
Gütiger Himmel, dachte D.D. Es summte ihr noch in den Ohren, die Arme prickelten, und die Hunde heulten, heulten und heulten.
Sie konnte doch nicht … es war doch nicht möglich, dass …
Sie schaute an sich herab und sah ein pinkfarbenes Etwas an den Stiefeln kleben. Den Teil eines Mäntelchens vielleicht oder einer Decke.
Sophie Leoni mit dem herzförmigen Gesicht und großen blauen Augen. Sophie Leoni mit braunen Haaren und einem Lachen, das eine Zahnlücke zeigte, das Mädchen, das so gern auf Bäume kletterte und Angst hatte, im Dunkeln zu schlafen.
Sophie Leoni.
Ich liebe meine Tochter , hatte Tessa vorhin noch dort auf der Lichtung gesagt. Ich liebe meine Tochter.
Was für eine Mutter war zu einer solchen Tat imstande?
Plötzlich setzte D.D.’s Gehirn wieder ein.
«Officer Fiske», rief sie und zerrte an Bobbys Arm. «Er ist in Gefahr. Wir müssen ihn sofort kontaktieren.»
Bobby hatte sein Funkgerät bereits in der Hand und drückte auf die Ruftaste. «Officer Fiske. Officer Fiske, melden Sie sich.»
Die Antwort blieb aus. Natürlich blieb sie aus. Warum hätte Tessa Leoni auch sonst darauf bestehen sollen, bei der Leichenbergung anwesend zu sein? Warum hätte sie auch sonst eine Sprengfalle am eigenen Kind anbringen sollen?
D.D. wandte sich den Kollegen zu.
«Officer down!», brüllte sie und rannte allen voraus in Richtung der abgestellten Fahrzeuge.
Im Nachhinein schien alles so sonnenklar, dass D.D. kaum glauben mochte, das Ende nicht vorhergesehen zu haben. Tessa Leoni hatte ihren Mann für mindestens vierundzwanzig Stunden auf Eis gelegt. Warum so lange? Wozu ein solch ausgeklügelter Plan, mit dem sie die Bergung ihrer Tochter hinausgezögert hatte?
Tessa Leoni hatte nicht nur einen Leichnam verscharrt, sondern gleichzeitig ihre Flucht aus dem Gefängnis vorbereitet.
Und D.D. war ihr dabei auch noch behilflich gewesen.
Sie hatte Tessa Leoni persönlich im Gefängnis von Suffolk County abgeholt und die mutmaßliche Doppelmörderin an einen entlegenen Ort mitten in Massachusetts chauffiert, eine Spürhundestaffel in eine Sprengstofffalle tappen und sich Tessa Leoni durch die Lappen gehen lassen.
«Ich bin ein verfluchter Idiot», wütete sie zwei Stunden später. Die Fahrzeugschlange in der Nähe des Tatortes war auf gut dreihundert Meter angewachsen, da sich nun auch Vertreter des Sheriffbüros eingefunden hatten.
Zuerst war die Ambulanz zur Stelle gewesen. Die Sanitäter hatten sich um Officer Fiske zu kümmern versucht, der sie aber, weil eigentlich nur in seiner Eitelkeit verletzt, nicht an sich heranlassen wollte. Stattdessen wurde Quizo verarztet. Der arme Hund, der der Explosion am nächsten gekommen war, hatte eine versengte Schnauze und gerissene Trommelfelle, die aber, wie seinen Halter Nelson versicherte, wie bei Menschen wieder zusammenwachsen würden.
Um auf Nummer sicher zu gehen, sollte Quizo zum Tierarzt gebracht werden. Nelson war so verstört, dass er sich von den Teamkollegen helfen lassen musste, Quizo in den Wagen zu tragen und Kelli und Skyler zu beruhigen. Cassondra erklärte sich bereit, mit dem Team am nächsten Morgen zur Nachbesprechung in der Zentrale
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