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Wer stirbt, entscheidest du

Wer stirbt, entscheidest du

Titel: Wer stirbt, entscheidest du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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herauszuholen.
    Anschließend zog ich sie wieder an und streifte noch schwere Arbeitshandschuhe darüber. Den Matchbeutel lehnte ich an die Wand und legte dann das Handy auf den Estrich, der sich als Unterlage für Schweißarbeiten besonders gut eignet.
    Im Alter von vierzehn Jahren hatte ich einen ganzen Sommer lang in der Werkstatt meines Vaters gearbeitet, Ölwechsel vorgenommen, Zündkerzen ersetzt und Reifen ausgewuchtet. Ich hatte mir irrigerweise eingebildet, dass wenn mein Vater schon nicht an meiner, ich doch immerhin an seiner Welt teilhaben könnte.
    Wir arbeiteten damals Seite an Seite, das heißt, er raunzte mit seiner kaputten Stimme, was ich tun sollte, und ich strengte mich an, alles richtig zu machen. In den Pausen verzog er sich in sein verstaubtes Büro und ließ mich allein mit meinem Sandwich zurück. Jene friedlichen Momente stillschweigender Übereinkunft zwischen Vater und Tochter gab es zwischen uns nicht, geschweige denn freundliche Worte. Ich tat, was er sagte, und damit hatte es sich.
    Zum Ende des Sommers hin hatte ich endlich begriffen, dass mein Vater nicht nur mundfaul war, sondern mich wahrscheinlich auch nicht liebte.
    Nur gut, dass ich Juliana hatte.
    Mein Vater blieb sitzen. Die Zigarette war aufgeraucht. Er widmete sich jetzt seinem Jack Daniel’s und trank aus einem uralten Plastikbecher.
    Ich setzte die Schutzbrille auf, brachte das Schweißgerät zum Brennen und verwandelte Officer Fiskes Handy in einen kleinen, schwarzen Klumpen Kunststoff.
    Es tat mir leid um das Ding, zumal ich es womöglich demnächst dringend brauchen würde. Aber ich musste auf Nummer sicher gehen. Manche Handys hatten GPS eingebaut und ließen sich orten. Wenn ich anrufen würde, hätte man mich schnell an Haken. Das Ding einfach wegzuwerfen kam aber genauso wenig in Frage, denn falls es der Polizei in die Hände fiele, würde sie dahinterkommen, dass ich Juliana noch einmal angerufen hatte.
    Deshalb die Behandlung mit dem Schweißbrenner, und ich muss sagen, ich hatte ganze Arbeit geleistet.
    Ich löschte die Flamme, drehte die Flaschen zu, wickelte die Schläuche ein und hängte die Schutzbrille wieder an den Haken.
    Den inzwischen abgekühlten Plastikklumpen steckte ich in meinen Matchbeutel, um bei meinem Vater keine Spuren zu hinterlassen. Die Polizei würde bald hier sein, denn wer einen entflohenen Häftling jagt, sucht alle möglichen Verstecke und Kontakte auf, also auch die Werkstatt meines Vaters.
    Nachdem ich den ersten Punkt auf meiner Liste abgehakt hatte, wandte ich mich endlich meinem Vater zu.
    Die Jahre waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Das konnte ich nun sehen an den hohlen Wangen und den tiefen Stirnfalten. Er sah aus wie ein geschlagener Mann. Das Leben und die Träume, die nie wahr geworden waren, hatten ihm alle Kraft genommen.
    Ich wollte ihn hassen, konnte es aber nicht. Männer zu lieben, die mich nicht verdienen, und trotzdem an ihnen festhalten zu wollen zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben.
    «Es heißt, du hast deinen Mann getötet», sagte mein Vater und fing trocken zu husten an.
    «Habe ich auch schon gehört.»
    «Und meine Enkeltochter.» Diesmal klang seine Stimme entschieden anklagend.
    Ich lächelte. «Du hast eine Enkeltochter? Seltsam, denn ich kann mich nicht erinnern, dass meine Tochter jemals von ihrem Großvater besucht worden wäre. Oder ein Geschenk zum Geburtstag bekommen hätte. Oder zu Weihnachten. Erzähl mir also nichts von Enkeln, alter Mann. Du erntest, was du gesät hast.»
    «Kotzbrocken», sagte er.
    «Komme wohl ganz nach dir.»
    Er stellte den Becher so wuchtig auf der Werkbank ab, dass eine bernsteinfarbene Fontäne daraus hervorspritzte. Der Whiskygestank brannte mir in den Augen. Mir war bewusst, dass ein Streitgespräch mit meinem Vater nichts brachte. Ich hätte mich also auch zu ihm setzen und mit ihm anstoßen können. Vielleicht wäre das auch damals im Sommer die Lösung gewesen. Vielleicht hatte er nie eine Tochter gebraucht, die für ihn arbeitete, sondern eine, die mit ihm trank.
    Zwei Alkoholiker, Seite an Seite im Funzellicht einer heruntergekommenen Autowerkstatt.
    Dann hätten wir uns beide an unseren Kindern versündigt.
    «Ich nehme mir einen Wagen», sagte ich.
    «Ich werde dich verpfeifen.»
    «Tu, was du nicht lassen kannst.»
    Ich ging zum Schlüsselbord, das rechts über der Werkbank ging und voller Autoschlüssel war. Mein Vater stand auf und baute sich in voller Größe vor mir auf.
    Taffer Brocken

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