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Wer stirbt, entscheidest du

Wer stirbt, entscheidest du

Titel: Wer stirbt, entscheidest du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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verantwortlich zeigen mussten für eine junge, misshandelte Kollegin. Mich einfach im Stich zu lassen wäre nicht gut für ihr Image.
    Unten auf dem Parkplatz würde wahrscheinlich inzwischen die Presse lauern, dachte ich und war wohl selbst am meisten überrascht, dass mir all das überhaupt nichts ausmachte. Ich stand auf und hielt meiner Kollegin beide Handgelenke hin. Shane, mein Gewerkschaftsvertreter, und mein Anwalt würden wahrscheinlich auch in Kürze ihren Auftritt haben, spätestens vor Gericht, wenn man mich auch formell unter Mordanklage stellte.
    Ich dachte an einen anderen Moment in der Vergangenheit, als ich am Küchentisch gesessen hatte, die Haare noch tropfnass vom Duschen, und von einem vierschrötigen Detective immer und immer wieder gefragt worden war: «Wo hattest du die Waffe her, wieso hast du sie mitgenommen, warum hast du sie abgefeuert …»
    Mein Vater hatte teilnahmslos im Türrahmen gestanden, die Arme vor seinem schmutzigen weißen Unterhemd verschränkt. Mir war schon in diesem Moment klar gewesen, dass ich nicht mehr auf ihn bauen konnte, dass egal sein würde, was ich antwortete. Ich war schuldig und würde immer schuldig sein.
    Manchmal ist das der Preis, den man für Liebe zahlen muss.
    Detective Warren las mir meine Rechte vor. Ich schwieg. Was hätte ich sagen sollen? Sie legte mir Handschellen an und wollte mich abführen, als das erste Problem in die Quere kam. Ich hatte kaum was an. Meine Uniform war bei meiner Einlieferung als Beweismittel eingetütet und ins Labor geschickt worden. Mir blieb nur das Krankenhaushemd, und D.D. schien zu begreifen, dass es für eine Bostoner Polizistin nicht politisch korrekt war, eine verprügelte Kollegin der State Police im Nachthemd und in Handschellen abzuführen.
    Sie und Detective Dodge berieten sich kurz miteinander in einer Ecke des Zimmers. Ich setzte mich zurück auf die Bettkante. Eine Krankenschwester trat durch die Tür, schaute sich besorgt um und kam auf mich zu.
    «Was macht der Kopf?», fragte sie.
    «Tut weh.»
    Sie fühlte mir den Puls, bewegte ihren ausgestreckten Zeigefinger von meinem Gesicht hin und her, damit ich ihm mit den Augen folgte, und nickte zufrieden. Anscheinend hatte ich nur Schmerzen, keine größeren Probleme. Überzeugt davon, dass ihre Patientin nicht in unmittelbarer Gefahr schwebte, zog sich die Schwester wieder zurück.
    «Wir können sie nicht in einen Knast-Overall stecken», hörte ich D.D. flüstern. «Ihr Anwalt würde es als Vorverurteilung deuten, wenn wir sie in Orange vorführten. In diesem Hemdchen kann sie auch nicht bleiben; wir stünden da wie unsensible Hornochsen. Wir brauchen unauffällige Klamotten, Jeans, einen Sweater, so was in der Art.»
    «Dann muss einer der Officer zu ihr nach Hause fahren und ein paar Sachen holen», antwortete Bobby.
    D.D. musterte mich.
    «Wir müssen Anziehsachen für Sie besorgen. Haben Sie einen besonderen Wunsch?», fragte sie.
    «Wal-Mart», antwortete ich und stand auf.
    «Wie bitte?»
    «Ist nur ein paar Blocks entfernt. Ich trage Jeans Größe sechs und Sweater in M. Unterwäsche, ein Paar Socken und Schuhe wären auch nicht schlecht.»
    «Wir wollen Ihnen keine Sachen kaufen», entgegnete D.D. schroff, «sondern welche aus Ihrem Kleiderschrank holen.»
    «Nein», sagte ich und setzte mich wieder.
    D.D. starrte mich an. Sollte sie ruhig. Aber was ärgerte sie so? Ich wollte keine eigenen Sachen, die man mir im Knast ja doch wieder abnehmen und für die Dauer meiner Inhaftierung wegschließen würde. Lieber ließe ich mich im Krankenhaushemd abführen. Warum eigentlich nicht? Ich hätte die Sympathien auf meiner Seite, was mir vielleicht ein bisschen helfen würde.
    Aber das schien D.D. ebenfalls vorauszusehen. Sie rief einen uniformierten Kollegen von draußen herein. Der zuckte nicht einmal mit der Wimper, als ihm gesagt wurde, dass er Frauenkleider kaufen sollte. Er machte sich sofort auf den Weg und ließ mich mit D.D. und Bobby allein zurück.
    Vermutlich lungerten draußen im Flur jede Menge Kollegen herum, die auf die große Show warteten.
    Ich zählte im Stillen, ohne zu wissen, auf welches Ende zu.
    «Mir ist in Ihrem Keller eine feuchte Stelle aufgefallen», sagte D.D. plötzlich. «Können Sie mir erklären, wie die zustande gekommen ist? Eis oder Schnee?»
    Ich sagte nichts.
    Sie kam auf mich zu, die Augen halb zugekniffen, als studierte sie das Exemplar einer unbekannten Spezies. Ich sah, dass sie eine Hand auf den Bauch gedrückt hielt

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