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Wer stirbt, entscheidest du

Wer stirbt, entscheidest du

Titel: Wer stirbt, entscheidest du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Cargill zu wissen und klang angemessen empört.
    «Mord.»
    Seine Augen weiteten sich. «Sie unterstellen ihr Vorsatz und Heimtücke? Das ist absurd. Wer hat diese Anklage autorisiert? Haben Sie sich meine Mandantin einmal angesehen? Dieses zerschlagene Gesicht, das blaue Auge, die zertrümmerten Knochen? Und ehe ich’s vergesse, sie hat eine schwere Gehirnerschütterung davongetragen.»
    D.D. verzog keine Miene und richtete ihren Blick zurück auf mich. «Eis oder Schnee, Tessa? Rücken Sie raus mit der Sprache. Wenn nicht uns, sollten Sie wenigstens Ihrem Anwalt den Gefallen tun und erzählen, wie Sie die Leiche Ihres Mannes gekühlt haben.»
    «Wie bitte?»
    Ich fragte mich, ob zur juristischen Ausbildung eines Anwalts eigentlich auch Schauspielunterricht gehört oder ob sich alle Anwälte von Haus aus so aufspielten, was sie dann übrigens mit Cops gemein hätten.
    Der uniformierte Kollege kam mit einer Wal-Mart-Tüte zurück. Er war anscheinend den ganzen Weg hin- und zurückgerannt, denn er keuchte. Er warf die Tüte D.D. zu, die meinem Anwalt erklärte, weshalb der Kollege einkaufen war.
    Sie nahm mir die Handschellen ab. Von den Sachen, die sie mir gab, waren alle Bügel und scharfen Gegenstände entfernt worden. Man erlaubte mir, mich im Bad umzuziehen. Der Bostoner Kollege hatte gute Arbeit geleistet und weit geschnittene Jeans für mich ausgewählt, die richtig steif waren. Dazu einen grünen Sweater mit Rundkragen. Einen Sport-BH, schlichte Unterwäsche, einfache Socken und weiße Tennisschuhe.
    Ich beeilte mich, legte den BH um und zog dann den Sweater über meinen verbeulten Kopf. Die Jeans anzuziehen war leichter, aber als ich die Schuhe zuzuschnüren versuchte, zitterten meine Hände so sehr, dass ich aufgeben musste.
    Wissen Sie, was bei der ganzen Vertuschungsprozedur das Widerlichste gewesen ist?
    Abzuwarten, bis er ausgeblutet war. Darauf zu warten, dass endlich das Herz zu schlagen aufhörte und kein Blut mehr kam, denn es hätte Spuren hinterlassen, die auch mit scharfen Scheuermitteln nicht zu entfernen gewesen wären. Luminol macht selbst die kleinsten Mengen sichtbar.
    Ich saß also auf dem harten Küchenstuhl, hielt Totenwache und fragte mich, was eigentlich schlimmer war. Einen Jungen zu erschießen und mit seinem frischen Blut an den Händen Reißaus zu nehmen oder einen Mann zu erschießen und neben ihm zu sitzen, bis das Blut geronnen war, damit man anschließend gründlich sauber machen konnte?
    Zur Sicherheit steckte ich ihm drei Tampons in die Einschusslöcher.
    «Was machst du da?», wollte der Mann wissen.
    «Es dürfen keine Spuren zurückbleiben», antwortete ich seelenruhig.
    «Oh», sagte er und ließ von mir ab.
    Drei blutige Tampons. Zwei Schneidezähne. So seltsam es scheint, Talismane können einem tatsächlich Kraft geben.
    Ich summte das Liedchen vor mich hin und schaffte es endlich, die Schuhe zuzuschnüren. Dann stand ich auf und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Ich erkannte mich nicht. Dieses verzerrte Gesicht, die hohlen Wangen, das strähnige braune Haar.
    Gut so, dachte ich. Mir selbst fremd zu sein passte zu der Rolle, die ich nun würde spielen müssen.
    «Sophie», murmelte ich, um den Namen meiner Tochter zu hören. «Sophie, ich liebe dich noch mehr.»
    Dann öffnete ich die Badezimmertür und streckte wieder beide Handgelenke aus.
    Die Schellen waren kalt und machten klick.
    Es war Zeit. D.D. und Bobby nahmen mich in ihre Mitte. Mein Anwalt folgte.
    Wir gingen durch den hellerleuchteten Flur. Der Staatsanwalt stieß sich von der Wand ab, an der er gelehnt hatte, und führte den kleinen Triumphzug an. Ich ging an meinem Chef vorbei, dem Lieutenant Colonel, der mit ansehen musste, wie jemand aus seiner Truppe in Handschellen abgeführt wurde. Seine Miene war vollkommen ausdruckslos. Es waren noch andere Kollegen da, Leute, die ich kannte, denen ich schon die Hand geschüttelt hatte.
    Sie schauten weg. Ich erwiderte ihnen den Gefallen und blickte stur vor mich hin.
    Wir steuerten auf die große Glastür am Ende des Ganges zu. Auf der anderen Seite drängten sich Reporter und Fotografen.
    Haltung bewahren. Nur nicht erkennen lassen, dass man schwitzt.
    Kaum hatte sich die Glastür geöffnet, stürzte ein Blitzlichtgewitter auf mich ein.

[zur Inhaltsübersicht]
    20. Kapitel
    «Wir müssen von vorn anfangen», sagte D.D. anderthalb Stunden später.
    Sie hatten Tessa im Sheriffbüro am Gericht von Suffolk County abgeliefert. Der Staatsanwalt würde die

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